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Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Titel: Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeannette Walls
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getötet hatte.«
    Ich starrte Tante Al an.
    »Du bist alt genug«, sagte sie. »Du solltest es wissen.«
    Charlotte, so erzählte Tante Al, verließ Richmond, nachdem Liz’ Dad sie sitzengelassen hatte, kam zurück nach Mayfield und nahm wieder den Namen Holladay an. Sie war ziemlich durcheinander von der ganzen Geschichte und hatte ein paar Techtelmechtel. Dann verguckten sie und Charlie sich ineinander, und sie wurde schwanger. Charlie wollte sie heiraten, nicht bloß weil sich das so gehörte, sondern weil er sie liebte. Aber Charlottes Vater, Mercer Holladay, war strikt dagegen, dass sein kleines Mädchen jemanden heiratete, der in seiner Weberei arbeitete. Und auch für Charlotte schien Charlie unter ihrer Würde, so nett und lustig er war.
    Charlie hoffte noch immer, Charlotte umstimmen zu können, als ein Kerl namens Ernie Mullens eines Abends in Gibson’s Poolbillard-Kneipe über Charlotte sagte, sie wäre ein loses Frauenzimmer – vorsichtig ausgedrückt. Als Ernie sich weigerte, die Bemerkung zurückzunehmen, ging Charlie auf ihn los. Daraufhin zog Ernie ein Messer, und Charlie schlug ihm mit seinem Billardqueue auf den Kopf. Ernie fiel gegen die Kante des Billardtisches und brach sich den Schädel. Er war auf der Stelle tot. Die Geschworenen entschieden auf Notwehr. Nach dem Prozess schwor Ernies Bruder Bucky, er würde Charlie umbringen, und viele Leute redeten Charlie zu, die Stadt zu verlassen, aber er weigerte sich. Zwei Wochen später erschoss Bucky Mullens Charlie Wyatt am helllichten Tag mitten auf der Holladay Avenue.
    »Dein Daddy wurde ermordet«, sagte Tante Al, »weil er die Ehre deiner Momma verteidigt hat.«
    Ihr Clarence habe daraufhin Rache geschworen, erzählte sie weiter, aber Bucky kam ins Gefängnis, und als er wieder entlassen wurde, verließ er den Staat, ehe irgendwer davon erfuhr. Tante Al war froh, dass es so gekommen war, sagte sie, aber Buckys Verschwinden hatte ihren Clarence noch verbitterter werden lassen.
    Tante Al nahm das Foto von meinem Dad aus dem Album und schob es mir in die Hand. »Das ist für dich.«
     
    »Mir kommt es so vor, als hätte sich alles verändert«, sagte ich zu Liz. Wir waren auf dem Rückweg nach Mayfield und schoben das Schwinn-Rad, weil ich mich unterhalten wollte. »Jetzt weiß ich, wer mein Dad war.«
    »Und du weißt jetzt, wer du bist«, sagte Liz. »Du bist die Tochter von Charlie Wyatt.«
    »Ja«, sagte ich. »Ich habe die Augen und das Haar von meinem Dad – und Tante Al sagt, ich hätte auch sein Temperament. Ich bin die Tochter von Charlie Wyatt.«
    Wir kamen am Haus der Frau vorbei, die den Vorplatz gefegt hatte. Die festgetretene Erde sah glatt aus wie Terrakottafliesen. Die Frau saß jetzt auf ihrer Veranda. Sie winkte, und ich winkte zurück.
    »Winkst du auf einmal Leuten, die du gar nicht kennst?«, fragte Liz grinsend. »Wie eine echte Einheimische.«
    Als wir am Fuß des Hügels waren, sagte ich: »Irgendwie gefällt es mir, wie mein Dad gestorben ist.«
    »Jedenfalls besser als irgend so ein blöder Unfall in der Weberei«, sagte Liz.
    »Er hat Moms Ehre verteidigt, wie Tante Al gesagt hat.«
    »Er war nicht bloß irgendein Fusselkopf – obwohl das natürlich auch nicht schlimm wäre.«
    »Ich glaube, ich hab viele Fragen an Mom«, sagte ich. »Wenn sie bloß endlich mal anrufen würde.«
    »Sie wird schon anrufen.«

9
    A ls wir nach Hause kamen, saß Onkel Tinsley am  Esstisch und arbeitete an der großen Ahnentafel der Familie Holladay.
    »Wie war’s, Bean?«, fragte er.
    »Na ja, sie hat rausgefunden, wie ihr Dad gestorben ist«, antwortete Liz an meiner Stelle.
    »Hast du das gewusst?«, fragte ich Onkel Tinsley.
    »Natürlich«, sagte er. Er zeigte mir einen Namen auf der Karte. »Charles Joseph Wyatt, 1932 bis 1957 .«
    »Wieso hast du mir das nicht erzählt?«
    »Das stand mir nicht zu«, sagte er. »Aber ganz Byler weiß es. Monatelang gab es kein anderes Gesprächsthema. Sogar jahrelang.«
    Fabrikarbeiter, die in Billard-Kneipen ihr Bier tranken, gerieten ständig in irgendwelche Schlägereien oder Messerstechereien, erklärte er, und hin und wieder brachten sie sich auch gegenseitig um. Das war an sich nicht ungewöhnlich. Aber damals ging es um Charlotte Holladay, die Tochter von Mercer Holladay, dem Mann, für den praktisch die ganze Stadt arbeitete. Als der Prozess gegen Bucky Mullens endlich losging, war Charlotte die Schwangerschaft schon anzusehen, und alle wussten, dass das Kind von dem prügelnden

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