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Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Titel: Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeannette Walls
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Fusselkopf war, den Bucky Mullens getötet hatte. Es war ein echter Skandal, und Onkel Tinsley sagte, seine Eltern wären vor Scham fast gestorben, genau wie er selbst und Martha. Alle hatten sie das Gefühl, dass der Name Holladay – der Name der verflixten Weberei, der Name von Bylers Hauptstraße – besudelt worden war. Seine Mutter ging nicht mehr in den Gartenverein, sein Vater ließ sich nicht mehr auf dem Golfplatz blicken. Und jedes Mal, wenn Onkel Tinsley durch die Stadt ging, wusste er, dass die Leute hinter seinem Rücken tuschelten.
    Mutter und Vater hätten kein Blatt vor den Mund genommen, so erzählte er weiter, und Charlotte klipp und klar gesagt, was sie von der Sache hielten. Sie war nach Hause gekommen, als ihre Ehe in Trümmern lag, und hatte von ihnen erwartet, dass sie sie unterstützten. Zugleich aber hatte sie erklärt, sie sei erwachsen und würde tun und lassen, was sie wollte. Und mit ihrem Verhalten hatte sie Schande über die ganze Familie gebracht. Charlotte ihrerseits hatte das Gefühl, die Familie hätte sich gegen sie gestellt, und sie machte Mutter und Vater ebenso wie ihm und Martha Vorwürfe, weil sie die Dinge so sahen, wie sie sie sahen.
    »Deshalb verließ sie Byler kurz nach deiner Geburt, Bean, und schwor, sie würde niemals zurückkehren«, sagte Onkel Tinsley. »Es war eine vernünftige Entscheidung, eine der wenigen, die sie je in ihrem Leben getroffen hat.«
     
    In dieser Nacht konnte ich nicht einschlafen. Ich lag im Bett und musste ständig darüber nachdenken, was ich alles über meine Mom und meinen Dad erfahren hatte. Immer hatte ich mir gewünscht, mehr über meine Familie zu wissen, aber mit so was hatte ich nicht gerechnet.
    In solchen Momenten war es echt Mist, ein eigenes Zimmer zu haben, weil man dann mit niemandem reden konnte. Ich stand auf, nahm mein Kopfkissen mit in Liz’ Zimmer und kroch zu ihr unter die Decke. Sie schlang einen Arm um mich.
    »Endlich weiß ich was über meinen Dad«, sagte ich. »Da kommen einem so viele Gedanken. Vielleicht solltest du mit Mom reden, wenn sie herkommt, und ihr sagen, dass du deinen Dad kennenlernen willst.«
    »Nein«, sagte Liz barsch. »Er hat Mom und mich sitzengelassen, und ich will nichts mit ihm zu tun haben. Nie im Leben.« Sie holte tief Luft. »Eigentlich bist du besser dran. Dein Dad ist tot. Meiner ist abgehauen.«
    Wir lagen eine Weile schweigend da. Ich wartete darauf, dass Liz irgendwas Schlaues sagte, irgendwas, das typisch Liz war und mir helfen würde, all das neue Wissen besser zu verstehen. Stattdessen ließ sie sich ein paar spaßige Wortspiele einfallen, wie sie das immer tat, wenn etwas sie aufwühlte und sie es herunterspielen wollte.
    Sie fing mit dem Wort »Fusselkopf« an. Zuerst machte sie Kusselfopf daraus. Dann sagte sie, wenn Fusselköpfe krause Haare hätten, hießen sie Strubbelköpfe, und wenn sie vergesslich wären, würde man sie Schusselköpfe nennen. Wer ein bisschen schwer von Begriff war, wurde als Dusselkopf oder auch Schusselkopf bezeichnet. Und wenn ein Fusselkopf gern zu tief ins Glas schaute, war er eigentlich ein Fuselkopf beziehungsweise ein Duselkopf.
    »Das ist nicht witzig«, sagte ich.
    Liz schwieg einen Moment. »Stimmt«, sagte sie.

10
    A m nächsten Morgen jätete ich Unkraut in den Blumenrabatten um den Koi-Teich. Ich dachte noch immer darüber nach, dass ich Charlie Wyatts Tochter war und alle so viele Probleme bekommen hatten, weil Mom mit mir schwanger geworden war. Das Hämmern eines Spechts in den Ahornbäumen ließ mich aufblicken, und da sah ich durch eine Lücke in den großen dunklen Büschen Joe Wyatt die Einfahrt heraufkommen, einen Jutesack über der Schulter. Ich stand auf. Als er mich bemerkte, kam er auf mich zugeschlendert, als würde er einen kleinen Spaziergang machen und mir ganz zufällig über den Weg laufen.
    »Hey«, sagte er, als er nur noch ein paar Schritte entfernt war.
    »Hey«, sagte ich.
    »Ma hat gesagt, ich soll herkommen und hallo sagen, wo wir doch verwandt sind und so.«
    Ich sah ihn an und stellte fest, dass er die gleichen dunklen Augen hatte wie mein Dad und ich. »Anscheinend bist du mein Vetter.«
    »Sieht ganz so aus.«
    »Tut mir leid, dass ich Dieb zu dir gesagt hab.«
    Er blickte nach unten, und ich sah, wie sich sein Gesicht zu einem Grinsen verzog. »Bin schon schlimmer beschimpft worden«, sagte er. »Also, Cousine, magst du Brombeeren?«
    Cousine.
Das gefiel mir. »Und wie!«
    »Na, dann komm mit, wir gehen

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