Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)
ursprünglich weiße Farbe völlig vergraut war, aber manche waren blau oder gelb oder grün oder rosa gestrichen oder mit Aluminium oder Teerpappe verkleidet. Auf Veranden standen Sessel und Sofas, in manchen der kleinen Vorgärten lagerten Autoteile, und an einem verwahrlosten Haus hing eine zerschlissene Konföderiertenfahne aus dem Fenster. Aber ganz offensichtlich versuchten viele Leute auf dem Hügel, es sich hübsch zu machen. Einige benutzten weißbemalte Autoreifen als Pflanzgefäße für Stiefmütterchen, andere hatten bunte Windrädchen aufgestellt, die munter kreisten, oder kleine Zementfigürchen von Eichhörnchen und Zwergen. Wir kamen an einer Frau vorbei, die die festgetretene Erde auf dem Vorplatz mit einem Besen fegte.
Dem Haus der Wyatts war der Stolz seiner Besitzer deutlich anzusehen. Der himmelblaue Anstrich war verblasst, aber der Rasen vor dem Haus war gemäht, die Büsche ringsum gleichmäßig gestutzt, und kleine Steine säumten den Weg vom Bürgersteig zum Eingang.
Liz hielt sich zurück und ließ mir den Vortritt. Ich klopfte an die Tür, die fast im selben Moment von einer rundlichen Frau mit breitem Mund und blitzenden Augen geöffnet wurde. Ihr dunkles, weißgesträhntes Haar war zu einem lockeren Knoten gebunden, und sie trug eine Schürze über einem schlabbrigen Kleid. Sie lächelte mich neugierig an.
»Mrs Wyatt?«, fragte ich.
»Ich denke schon.« Sie trocknete sich die Hände mit einem Geschirrtuch ab. Es waren mächtige Hände, wie die von einem Mann. »Wollt ihr was verkaufen?«
»Ich bin Bean Holladay. Charlottes Tochter.«
Sie stieß einen schrillen Freudenschrei aus, ließ das Geschirrtuch fallen und riss mich in eine rippenquetschende Umarmung.
Ich stellte Liz vor, die ihr zur Begrüßung die Hand entgegenstreckte.
»In dieser Familie wird nicht geschüttelt, hier wird umarmt!«, rief Mrs Wyatt, um sogleich auch Liz fast zu zerdrücken. Sie zog uns ins Haus, rief lauthals nach Clarence, er solle herkommen und seine Nichten kennenlernen. »Und hört mir bloß auf mit diesem Mrs-Wyatt-Getue«, befahl sie uns. »Ich bin eure Tante Al.«
Die Haustür führte direkt in die Küche. Ein kleiner Junge saß am Tisch und sah uns mit großen, starren Augen an. Auf einem klobigen Kohleherd standen zwei frisch gebackene Kuchen. In Regalen waren Teller, Schüsseln und Töpfe nach Größe geordnet, und Schöpfkellen und Rührlöffel hingen an einem Gestell über dem Herd. Tante Al hatte offenbar alles gut im Griff. Die Wände waren mit Stickereien und mit kleinen lackierten Holztafeln verziert, auf denen Bibelverse standen oder Sprüche wie DER MENSCH DENKT , GOTT LENKT oder KEINE ROSE OHNE DORNEN .
Ich fragte, ob Joe da sei. »Ich hab ihn gestern gesehen, aber da wusste ich noch nicht, dass er mein Cousin ist.«
»Wo hast du ihn denn gesehen?«
»In Onkel Tinsleys Obstgarten.«
»Dann bist du die Pfirsichschmeißerin?« Tante Al warf den Kopf in den Nacken und lachte herzhaft. »Du sollst ja einen ziemlich guten Wurfarm haben.« Joe sei irgendwo draußen unterwegs, sagte sie, und er komme meistens erst zum Abendessen nach Hause, aber er würde sich bestimmt ärgern, dass er uns verpasst hatte. Sie habe vier Kinder, erzählte sie weiter. Joe war dreizehn, ihr zweiter Sohn. Den Kleinen am Tisch stellte sie uns als ihren jüngsten vor, Earl. Er sei fünf, sagte sie, und er sei anders, ein bisschen schwächlich, und er hatte nie richtig sprechen gelernt – bis jetzt jedenfalls. Ihr ältester, Truman, war zwanzig und diente seinem Land in Übersee. Ihre sechzehnjährige Tochter Ruth war runter nach North Carolina gefahren, um einer Schwester von Tante Al auszuhelfen, die drei Kinder zu versorgen hatte, aber an Hirnhautentzündung erkrankt war.
Ein Mann kam aus dem Zimmer hinter der Küche. Er bewegte sich vorsichtig, als hätte er Schmerzen, und Tante Al stellte ihn als ihren Mann vor, unseren Onkel Clarence.
»Charlottes Töchter? Was du nicht sagst!« Er war hager und leicht gebeugt, tiefe Furchen durchzogen seine ausgemergelten Wangen, und sein graues Haar war kurz geschoren. Er betrachtete Liz. »An dich erinnere ich mich«, sagte er. Dann sah er mich an. »Dich hab ich noch nie zu Gesicht bekommen. Deine Momma hat dich von hier weggebracht, bevor ich die Gelegenheit hatte, das einzige Kind meines Bruders zu sehen.«
»Tja, jetzt hast du ja die Gelegenheit«, sagte Tante Al. »Sei lieb.«
»Freut mich, dich kennenzulernen, Onkel Clarence«, sagte ich. Ich fragte mich,
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