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Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Titel: Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeannette Walls
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gefunden?«, fragte Tante Al.
    »Und ob«, sagte ich. »Mr Maddox, euer Boss in der Weberei, ist jetzt auch unser Boss. Liz und ich arbeiten für ihn.«
    »Tatsächlich?« Tante Al stellte ihren Kaffee ab. »Ich weiß gar nicht, wie ich das finden soll. Jerry Maddox kann andere ganz schön schikanieren. In der Weberei tut er das jedenfalls, und er ist richtiggehend verhasst. Meine Ruthie hat mal bei ihm im Haus gearbeitet, aber am Ende hat sie’s nicht mehr ausgehalten. Und Ruthie versteht sich wirklich mit allen.«
    »Mr Maddox war der Einzige, der für Liz und mich Arbeit hatte«, sagte ich. »Zu uns war er bis jetzt ganz anständig, aber seine Frau kommandiert er echt schlimm herum.«
    »Bei dem Kerl würde sogar ein Grizzly kuschen. Hat euer Onkel Tinsley nichts dagegen, dass ihr für den arbeitet?«
    »Onkel Tinsley weiß nichts davon«, sagte ich und trank einen kräftigen Schluck von meiner Milch-mit-Kaffee. »Er wollte nicht, dass wir uns Arbeit suchen. Wir sind Holladays, hat er gesagt, und Holladays arbeiten nicht für andere Leute. Aber wir brauchen das Geld.«
    »Kann ich mir vorstellen«, sagte sie. »Aber ihr solltet wissen, was zwischen Mr Maddox und eurem Onkel vorgefallen ist.«
    Mr Maddox, erzählte Tante Al, sei einer der Männer, die die neuen Webereibesitzer aus Chicago als Betriebsleiter eingesetzt hatten. Onkel Tinsley hatte mit den Käufern vereinbart, weiter als Berater zur Verfügung zu stehen, weil er mit den Produktionsabläufen bestens vertraut war und die Kunden und die Arbeiter schon so lange kannte. Aber er und Mr Maddox gerieten in null Komma nichts aneinander. Mr Maddox war für die Fertigung verantwortlich und sollte im Auftrag der neuen Besitzer alles tun, um die Kosten zu senken und die Produktion zu steigern. Er lief mit der Stoppuhr in der Hand hinter den Leuten her, trieb sie an, schneller zu arbeiten und unnötige Handgriffe zu unterlassen, forderte, jedes Paar Socken in zweieinhalb Sekunden zusammenzufalten statt in drei, schnauzte sie an, wenn sie mal zur Toilette gingen, und verlangte von ihnen, ihre mitgebrachten Brote direkt am Arbeitsplatz zu essen. Er kündigte an, jeden Monat die fünf langsamsten Arbeiter rauszuschmeißen, bis er die Belegschaft um die Hälfte verkleinert hatte.
    Auf Mr Maddox’ Empfehlung hin schafften die Besitzer die Baseballmannschaft ebenso ab wie die Schinken zu Weihnachten. Dann brachte er sie dazu, die Häuser abzustoßen, die von der Weberei an die Arbeiter vermietet wurden, kaufte viele davon billig auf und erhöhte die Mieten.
    Die Arbeit in der Weberei sei nie leicht gewesen, sagte Tante Al, aber im Großen und Ganzen seien die Leute, die dort beschäftigt waren, gut miteinander ausgekommen. Sie hatten das Gefühl, im selben Boot zu sitzen. Doch als Mr Maddox auftauchte und anfing, Leute zu entlassen, zerbrachen alte Freundschaften, und manche hintergingen sogar ihre Kollegen oder schwärzten sie an, damit sie selbst ihren Job behalten und ihre Familien ernähren konnten.
    Nach Mr Holladays Überzeugung hätten viele von Jerry Maddox’ Neuerungen mehr Schaden angerichtet als Nutzen gebracht, meinte Tante Al. Je unglücklicher die Arbeiter wurden, desto weniger motiviert waren sie. Sie waren auch längst nicht mehr so stolz auf ihr Produkt wie früher, und gelegentlich brachte das mörderische Tempo, das ihnen abverlangt wurde, sie sogar dazu, die Maschinen zu sabotieren, nur um mal ein paar Minuten verschnaufen zu können. Mr Holladay und Mr Maddox gerieten außerdem darüber in Streit, wie der Betrieb am besten zu leiten wäre. Einmal schrien die beiden Männer sich mitten in der Werkshalle lauthals an. Mr Holladay beschwerte sich bei den neuen Besitzern, aber die unterstützten Mr Maddox und drängten Mr Holladay aus der Weberei.
    »Aus der Weberei, die seinen Namen trägt«, sagte Tante Al. »Aus dem Unternehmen, das seine Familie gegründet und über ein halbes Jahrhundert lang geleitet hat. Danach fingen viele Leute in Byler an, euren Onkel zu meiden.«
    »Aber er hat doch nichts Falsches gemacht«, sagte ich.
    »Wohl wahr. Aber Mr Maddox hatte den Kampf gewonnen, und er hielt alle Trümpfe in der Hand.«
    »Wahrscheinlich bleibt Onkel Tinsley deshalb lieber für sich.«
    »Er hat seine Eltern verloren, seine Frau und seine Weberei, und das alles innerhalb von ein paar Jahren«, sagte Tante Al. »Dem armen Mann ist einfach zu viel genommen worden.«
    Ich aß den letzten Bissen von meinem Teller. »Vielleicht sollten

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