Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)
wir Onkel Tinsley lieber erzählen, dass wir für Mr Maddox arbeiten«, sagte ich. Ich ging mit meinem Teller rüber zur Spüle und ließ Wasser darüberlaufen. »Ich hab ein schlechtes Gewissen. Er ist so gut zu uns, und wir hintergehen ihn.«
»Ich bin nicht besonders gut darin, anderen Ratschläge zu geben«, sagte Tante Al. »Die meisten Leute, die um Rat fragen, wissen sowieso schon, was sie tun sollten. Sie wollen es bloß noch mal von jemand anderem hören.«
»Schluss mit dem Gequassel«, sagte Joe. »Komm jetzt, Cousinchen, wir holen uns ein paar Äpfel.«
Am selben Abend berichtete ich Liz oben im Vogeltrakt, was Tante Al mir über das böse Blut zwischen Mr Maddox und Onkel Tinsley erzählt hatte. »Ich find’s nicht richtig, dass wir für jemanden arbeiten, den Onkel Tinsley hasst.«
»Wir brauchen das Geld.«
»Trotzdem, er lässt uns hier wohnen und sein Ragout essen, und wir lügen ihn an.«
»Wir lügen ihn nicht an, wir erzählen ihm bloß nicht alles«, sagte Liz. Sie erklärte mir weiter, dass, wenn Onkel Tinsley Realist wäre und zugeben würde, dass wir Geld für Schulkleidung und Bücher und Hefte und so weiter brauchten, es etwas anderes wäre. Aber solange er weiter so täte, als könnten wir Ballkleider aus den vierziger Jahren tragen und müssten uns keine Gedanken darum machen, wie wir Schulbücher und Essen in der Schulkantine bezahlen sollten, so lange müssten wir nun mal tun, was zu tun war. »Man muss anderen nicht alles erzählen. Etwas für sich zu behalten ist nicht gleich lügen.«
An dem, was Liz sagte, war was dran, aber ich hatte trotzdem ein ungutes Gefühl.
Als Liz am nächsten Nachmittag von der Arbeit kam, sagte sie, sie hätte Mr Maddox nach seinem Krach mit Onkel Tinsley gefragt. Mr Maddox hatte ihr erzählt, dass es zwischen ihm und Onkel Tinsley in der Frage, wie die Weberei geführt werden sollte, tatsächlich zu Meinungsverschiedenheiten gekommen war. Onkel Tinsley habe in der Auseinandersetzung den Kürzeren gezogen, sagte Mr Maddox. Er habe das bisher nicht erwähnt, um nicht den Anschein zu erwecken, er wolle unseren Onkel schlechtmachen. Aber es wundere ihn nicht, dass Onkel Tinsley oder andere in der Stadt Jerry Maddox schlechtmachten, und er würde uns gern die wahre Geschichte erzählen, falls wir sie hören wollten.
»Ich denke, wir sollten sein Angebot annehmen«, sagte Liz.
19
I ch war froh, dass Mr Maddox bereit war, uns seine Version der Geschichte zu erzählen. Schließlich war er der Boss, und wir waren es, die Geld brauchten. Er war uns keinerlei Erklärung schuldig, und irgendwie gab er mir dadurch das Gefühl, dass es ihm wichtig war, was wir von ihm hielten.
Manchmal arbeitete Mr Maddox tagsüber in der Weberei, aber zuweilen auch nachts und an den Wochenenden, damit er die Woche über Zeit hatte, seinen anderen Geschäften nachzugehen. In dieser Woche nun arbeitete er nachmittags und hatte vormittags frei, also fuhren Liz und ich am nächsten Tag nach dem Frühstück in die Stadt und stellten unsere Fahrräder in Mr Maddox’ Carport ab, gleich neben seinem blank gewienerten Le Mans. Wie üblich saßen Doris und die Kinder auf dem Kunstledersofa vor dem Fernseher und guckten Zeichentrickfilme.
Mr Maddox war in seinem Büro. Er saß hinter dem Schreibtisch und fütterte eine Maschine mit Papier, die es in spaghettidünne Streifen schnitt und dann in den Mülleimer spuckte.
»Merkt euch, Unterlagen darf man nie einfach nur zusammenknüllen und wegwerfen«, sagte Mr Maddox. »Eure Feinde werden euren Müll durchsuchen, um irgendwas zu finden, das sie gegen euch verwenden können. Selbst harmloses Zeug werden sie verzerren und verdrehen. Ihr müsst immer auf der Hut sein.«
Mr Maddox schredderte das letzte Blatt. Sein Schreibtisch war aufgeräumt, genau so, wie er das gernhatte. Eine von Liz’ Aufgaben war es, immer darauf zu achten, dass all seine Unterlagen in den richtigen Ordnern abgelegt wurden und in den Aktenschränken standen, die er stets verschlossen hielt.
»Ihr wollt also hören, was zwischen mir und eurem Onkel vorgefallen ist?«, fragte er. »Wundert mich nicht. Mich wundert nur, dass es so lange gedauert hat.«
Mr Maddox stand auf und machte die Tür zu. »Ich erzähle euch ja gern alles«, sagte er, »aber zuerst müsst ihr mir was verraten.« Er holte die zwei Klappstühle aus dem Schrank und sagte uns, wir sollten uns hinsetzen. Dann rollte er seinen Sessel um den Schreibtisch, bis er nur wenige
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