Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Titel: Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeannette Walls
Vom Netzwerk:
abwarfen, aber erst nach Ende der Laufzeit ausgezahlt werden könnten – in einem Jahr. Ein kluger Schachzug, erklärte er, und wenn er nicht so beschäftigt gewesen wäre, hätte er ihr vorher Bescheid gegeben. Als Liz ihm sagte, dass sie ihr Geld haben wollte, um sich eine Gitarre zu kaufen, sagte Mr Maddox, sie wäre dumm, wenn sie ihr Geld für eine vorübergehende Laune zum Fenster hinauswarf. Die meisten Jugendlichen, die ein Musikinstrument erlernen wollten, verloren nach wenigen Monaten die Lust daran, und dann müssten sie oder ihre Eltern die Kosten für das blöde Ding tragen, das nur noch Platz im Schrank wegnahm.
    »Ich fass es nicht!«, sagte Liz. »Das ist mein Geld. Mr Maddox kann mir nicht vorschreiben, was ich damit mache.«
    Genau in dem Moment, als Liz das sagte, trat Onkel Tinsley mit einer Schöpfkelle in der Hand aus der Tür. Das Abendessen war fertig.
    »Mr Maddox?«, fragte er. »Jerry Maddox? Was ist mit Jerry Maddox?«
    Liz und ich sahen uns an. Onkel Tinsley zu verschweigen, was wir gemacht hatten, war eine Sache, aber ihm direkt ins Gesicht zu lügen eine ganz andere.
    »Mr Maddox will mir mein Geld nicht geben«, sagte Liz.
    »Was soll das heißen?«, fragte Onkel Tinsley.
    »Wir haben für ihn gearbeitet«, antwortete Liz.
    »Das war der einzige Job, den wir kriegen konnten«, schob ich nach.
    Onkel Tinsley sah uns lange an, ohne ein Wort zu sagen. Dann setzte er sich neben uns, legte die Schöpfkelle auf die oberste Stufe und presste die Fingerspitzen gegen die Schläfen. Ich konnte nicht sagen, ob er fassungslos oder wütend war, enttäuscht oder besorgt. Vielleicht war er alles gleichzeitig.
    »Wir brauchten Geld für Anziehsachen«, sagte Liz.
    »Und wir wollten was für den Haushalt dazuverdienen«, sagte ich.
    Onkel Tinsley holte tief Luft. »Holladays arbeiten für die Maddox«, sagte er. »Ich hätte nie gedacht, dass es einmal so weit kommen würde.« Er sah zu uns rüber. »Und ihr habt es vor mir verheimlicht.«
    »Wir wollten nicht, dass du dich ärgerst«, sagte ich.
    »Tja, nun weiß ich es, und ärgerlicher, als ich jetzt bin, kann ich gar nicht sein«, sagte er. »Also, heraus mit der Sprache. Erzählt mir die ganze Geschichte.«
    Liz und ich erklärten ihm alles: dass wir ihm nicht zur Last fallen wollten und deshalb versucht hatten, Jobs zu finden, dass Mr Maddox der Einzige gewesen war, der uns Arbeit gab, dass er ein Sparbuch für Liz eingerichtet hatte, aber nun, wo Liz ihr Geld abheben wollte, klargeworden war, dass Mr Maddox es in Staatsanleihen angelegt hatte und sie nicht an ihr eigenes Geld konnte.
    Onkel Tinsley holte erneut tief Luft und atmete mit einem Seufzen aus. Er wirkte jetzt vor allem müde. »Wenn ihr gleich zu mir gekommen wärt, hätte ich euch gesagt, dass so etwas früher oder später mit diesem Maddox passieren würde. Weil es nämlich immer passiert. Er ist ein niederträchtiges Schwein.« Onkel Tinsley stand auf. »Und ich möchte, dass ihr nie wieder irgendwie Kontakt zu ihm aufnehmt.«
    »Und mein Geld?«, fragte Liz.
    »Vergiss das Geld«, sagte er.
    »Aber es sind zweihundert Dollar!«
    »Verbuch sie als Erfahrung.«

31
    S eit dem Tag, als ich das mit meinem Dad erfahren hatte, schlief ich in Liz’ Zimmer. Als sie an diesem Abend das Licht ausmachte, war der Mond so voll und hell, dass er Schatten auf den Boden warf. Wir lagen Seite an Seite im Bett und starrten an die Decke.
    »Ich krieg mein Geld«, sagte Liz plötzlich.
    »Wie denn?«, fragte ich. »Onkel Tinsley hat doch gesagt, wir sollen nicht noch mal Kontakt zu Mr Maddox aufnehmen.«
    »Ist mir egal«, sagte sie. »Das Geld gehört mir! Ich hab dafür gearbeitet.«
    »Aber Onkel Tinsley hat doch gesagt –«
    »Ist mir egal, was Onkel Tinsley gesagt hat!«, fiel Liz mir ins Wort. »Was weiß der schon? Der versteckt sich hier in diesem alten Haus und isst sein Wildragout. Er hat keine Ahnung, wie es ist, wenn man Arbeit braucht. Hat er ja nie erlebt.« Sie setzte sich auf und sah aus dem Fenster. »Das Geld gehört mir! Und ich werde es mir holen!«
     
    Am Dienstag nach der Schule stieg Liz auf ihr blaues Schwinn-Fahrrad und fuhr in die Stadt, um mit Mr Maddox zu sprechen. Ich dachte, sie wäre in ein oder zwei Stunden wieder da. Doch gegen Abend war sie noch immer nicht zurück. Ich ging in die Küche, wo Onkel Tinsley gerade eine Dose Tomaten aufmachte, um das Ragout zu verlängern. Er kippte sie in den großen Kupfertopf, rührte das Ragout um und kostete. »Da

Weitere Kostenlose Bücher