Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)
der Tasche und schloss die Tür auf. »Das scheint mir auch so.« Er sah Liz an. »Was ist mit deinem Gesicht passiert?«
»Genau darüber wollten wir mit Ihnen reden«, sagte ich.
Mr Corbins Kanzlei war chaotisch. Überall lagen aufgeschlagene Fachbücher und gestapelte Schriftsätze herum. Ich nahm das als gutes Zeichen. Ein Anwalt, der sich keine Sekretärin erlauben konnte, um sein Büro in Ordnung zu halten, musste ehrlich sein.
Mr Corbin bedeutete uns, in den rissigen Ledersesseln vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen, während er einige Papiere wegräumte. »So, jetzt erzählt mal, was passiert ist.«
Ich räusperte mich. »Es ist ziemlich kompliziert.«
»Das ist es meistens«, sagte er.
»Und schrecklich«, fügte Liz hinzu. Es war das erste Mal, dass sie etwas sagte, seit wir in der Stadt waren.
»Ihr könnt mir wahrscheinlich nichts erzählen, das ich nicht schon mal gehört habe«, sagte er. »Und wenn ein Anwalt die Dinge, die ihm seine Mandanten erzählen, nicht für sich behalten kann, sollte er kein Anwalt sein.«
»Wie hoch ist Ihr Honorar?«, erkundigte ich mich.
Er lächelte und schüttelte den Kopf. »Darüber sollten wir uns jetzt noch keine Gedanken machen. Zuerst muss ich wissen, was euch herführt.«
»Es geht um Jerry Maddox«, sagte ich.
Mr Corbin zog die Augenbrauen hoch. »Dann glaub ich gern, dass es kompliziert ist.«
Und dann brach die ganze Geschichte aus mir heraus. Mr Corbin hatte das Kinn auf die gefalteten Hände gestützt und hörte wortlos zu.
»Wayne hat gesagt, er würde als Zeuge aussagen.«
»Was für ein Schlamassel«, sagte Mr Corbin schließlich leise. Er massierte sich mit Daumen und Zeigefinger den Nasenrücken. »Ihr seid also nicht ins Krankenhaus oder zur Polizei gegangen?«
»Ich wollte erst mit einem Anwalt sprechen.«
»Wieso ist euer Onkel nicht mitgekommen?«
»Der sagt, wir sollen das Ganze einfach vergessen.«
»Aber ihr wollt es nicht vergessen. Ihr wollt vor Gericht gehen?«
»Ich will, dass mein Onkel sein Gewehr nimmt und Mr Maddox abknallt, das will ich«, sagte ich.
»Das will ich überhört haben.«
»Und weil das nicht passieren wird, wollten wir von Ihnen hören, was wir rechtlich machen sollen.«
»Es geht im Grunde nicht darum, was ihr machen sollt. Es geht eher darum, was ihr machen wollt.« Mr Corbin nahm eine Büroklammer und bog sie auseinander. Wir hätten zwei Alternativen, erklärte er. Erstens, wir konnten Anzeige erstatten, was einen Riesenskandal und einen üblen Prozess mit jeder Menge öffentlichen Aufsehens nach sich ziehen würde, aber letzten Endes zur Folge haben könnte, dass Mr Maddox für das, was er angeblich getan hatte, bestraft wurde. Dafür gab es jedoch keinerlei Garantie. Zweitens, wir könnten zu dem Schluss kommen, dass es ein Vorfall war, bei dem sich beide Seiten unklug verhalten hatten – immerhin war Liz ja freiwillig zu Mr Maddox in den Wagen gestiegen – und der nicht in einem öffentlichen Gerichtssaal aufgewärmt werden musste, wo die ganze Stadt sich an jedem unappetitlichen Detail ergötzen würde.
»Wir wollen das Richtige tun«, sagte ich.
»Ich kann euch nicht sagen, was das Richtige ist«, sagte er. »Das müsst ihr selbst entscheiden. Und leider habt ihr nicht die Wahl zwischen einer guten und einer schlechten Alternative. Beide Alternativen sind auf ihre Art schlecht.«
»Wir können doch nicht einfach nichts tun!«, sagte ich.
»Warum nicht?«, fragte Mr Corbin.
»Weil das, was Maddox gemacht hat, falsch war«, sagte ich, »und weil er sich ins Fäustchen lacht, wenn er damit durchkommt.« In diesem Moment kam mir ein Gedanke. »Und vielleicht macht er es dann wieder.«
»Möglich.«
»Das können wir nicht zulassen!«
»Denkst du wirklich, er versucht’s noch mal?«, fragte Liz.
Ich hatte die meiste Zeit geredet und war überrascht, als sie sich zu Wort meldete.
Mr Corbin zuckte die Achseln. »Wie gesagt, es wäre möglich.«
»Ich will einfach nicht, dass es wieder passiert«, sagte Liz. »Ich hab Angst davor, dass er es wieder tut. Ich hab sogar Angst davor, ihm zu begegnen.«
»Ihr könntet die Stadt verlassen«, sagte Mr Corbin. »Könnt ihr nicht zu eurer Mutter?«
»Das haben wir im Sommer versucht«, sagte ich. »Hat nicht gut funktioniert. Und überhaupt, Maddox fällt über meine Schwester her, und wir sollen uns verstecken? Das ist nicht richtig!«
»Nein, ist es nicht. Aber es wäre dennoch eine Alternative.«
»Ich weiß nicht, was ich
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