Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)
ihre Augen blitzten wütend.
»Was in drei Teufels Namen bildet ihr euch ein?«, schrie sie. »Wie könnt ihr es wagen? Wie könnt ihr es wagen, nach allem, was wir für euch getan haben?«
Die Polizei sei bei ihnen aufgetaucht, sagte sie, hätte ihren Mann festgenommen und zum Gefängnis gefahren, wo man seine Fingerabdrücke genommen und ihn in eine Zelle gesteckt hatte. Sein Anwalt verhandelte gerade über eine Kaution, und Jerry wäre bestimmt schon am Abend wieder auf freiem Fuß.
»Wir hatten ja keine Ahnung, mit wem wir es zu tun haben«, sagte Doris. Wir hätten uns mit dem Falschen angelegt. Ihr Ehemann würde sich besser als jeder andere mit Recht und Gesetz auskennen. Er hatte schon zig Prozesse gewonnen. Er hatte ein Verfahren bis zum Obersten Gericht von Rhode Island durchgezogen und schließlich gewonnen. Es würde uns noch leidtun, dass wir die Sache angefangen hatten. »Euch verlogenen Schlampen glaubt doch sowieso kein Schwein.«
Zuerst war ich völlig verdattert, aber als Doris anfing, uns zu drohen und als Lügnerinnen zu bezeichnen, ging mir die Hutschnur hoch. »Jetzt nehmen Sie mal den Mund nicht so voll«, sagte ich. »Wir haben einen Augenzeugen. Der wird aussagen, was passiert ist. Ihr Mann ist über Liz hergefallen, und Sie tun so, als wäre er ein Heiliger, und reden davon, was er alles für uns getan hat?«
»Deine Schwester ist ein Flittchen!«, schrie Doris. »Mein Mann hat sie als seine Privatsekretärin angestellt, er hat sie bezahlt, sie ausgebildet, ihr vertraut, er hat ihr schöne Sachen gekauft und sie behandelt wie eine Königin. Wir wissen, dass ihr zwei uns beklaut habt. Deine Schwester war gestern betrunken, und sie hat sich hinten im Wagen an Jerry rangemacht. Er hat sie abblitzen lassen, und deshalb hat sie diese Lügengeschichte erfunden. Sie hatte es die ganze Zeit auf ihn abgesehen, weil er euren Versager von Onkel rausgeschmissen hat. Ihr denkt, ihr hättet Beweise? Tja, wir haben auch Beweise. Wir haben eine Wodkaflasche mit euren Fingerabdrücken drauf als Beweis.«
Ich hatte keine Ahnung, was sie meinte, weil ich noch nie im Leben Wodka getrunken hatte und ziemlich sicher war, dass das Gleiche für Liz galt, aber ich dachte nicht weiter darüber nach. »Versuchen Sie ruhig, alles zu verdrehen«, sagte ich. »Aber Sie wissen genau, was Ihr Mann gemacht hat. Mir ist egal, was für ein toller Hecht er ist, die Wahrheit wird irgendwann herauskommen.«
»Wenn die Wahrheit über euch beide ans Licht kommt«, sagte Doris, »könnt ihr eure dreckigen Visagen hier nirgendwo mehr blickenlassen. Lasst euch das gesagt sein. Mein Mann macht euch fertig!«
Doris stieg wieder in den Le Mans, knallte die Tür zu, warf den Rückwärtsgang ein und raste die Einfahrt runter, dass der Kies nur so spritzte. Die Hände in die Hüften gestemmt, sah ich ihr nach und kämpfte gegen den Impuls an, ihr den Finger zu zeigen. Ich wusste, dass Onkel Tinsley darüber entsetzt wäre. »Die denkt, sie könnte uns Angst einjagen, aber da hat sie sich geschnitten, oder?«
»Da kommt eine Riesenscheiße auf uns zu«, sagte Onkel Tinsley.
Das war das erste Mal, dass er in meiner Anwesenheit ein Schimpfwort benutzte.
35
A n dem Abend erklärte Liz, dass sie unter gar keinen Umständen auch nur in Erwägung ziehen würde, am nächsten Tag zur Schule zu gehen. Weder Onkel Tinsley noch ich versuchten, sie umzustimmen.
Sobald ich am nächsten Morgen zur Bushaltestelle kam, merkte ich, dass alle Bescheid wussten. In einer Kleinstadt wie Byler spricht sich so was schnell rum. Da brauchte nur ein Deputy seinem Schwager zu erzählen, dass Tinsley Holladays Nichte Anzeige gegen Jerry Maddox erstattet hatte, und schon eine Stunde später war es das Gesprächsthema beim Friseur und im Schönheitssalon. Die anderen Kinder erörterten den Fall, das war klar, und als sie mich sahen, stießen sie einander warnend an und sagten Sachen wie: »Achtung, sie kommt«, »Klappe!«, und: »Wo ist denn die andere?«
Als ich in der Schule ankam, blieb noch genug Zeit vor der ersten Stunde, um in die Bibliothek zu gehen, wo immer ein Exemplar der
Byler Daily News
rumlag. Ich erwartete, dass Maddox’ Festnahme dick und fett auf der ersten Seite stehen würde, da das Blatt selbst die kleinsten Lokalnachrichten – ein Pferd, das in einem Teich stecken geblieben war, ein abgebrannter Geräteschuppen, ein Farmer, der eine vier Pfund schwere Tomate geerntet hatte – ganz groß rausbrachte. Die Meldung stand nicht auf
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