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Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Titel: Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeannette Walls
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sobald ein Auto auftauchte, fingen beide Parteien an, es mit Schneebällen zu bewerfen, und falls ein Fahrer ausstieg, laut schimpfte und versuchte, uns zu schnappen, rannten wir, so schnell wir konnten, Richtung Wald, Dog eingeschlossen.
    Alles in allem fühlte ich mich in Byler sauwohl, wenn da bloß nicht dieses ganze Maddox-Schlamassel gewesen wäre.

45
    I ch sah dem Prozess ziemlich zuversichtlich entgegen. Wir trafen uns ein paarmal mit Dickey Bryson, dem Staatsanwalt. Er war ein massiger Mann, und obwohl es immer so schien, als würden seine Krawatten ihm die Luft abschnüren, lächelte er viel und erzählte gern Witze. Er war Linebacker bei den Byler Bulldogs gewesen, und zwar ein so guter, dass sein Bild im Bulldog Diner an der Wand hing und manche Leute ihn noch immer mit dem Spitznamen anredeten, den er in der Highschool gehabt hatte: Blitz.
    Der Fall wäre ziemlich unkompliziert, sagte Dickey Bryson, und das Gerichtsverfahren würde das auch sein. Er würde mit dem Deputy anfangen, der Liz’ Aussage aufgenommen und die Fotos gemacht hatte. Dann würde er mich und Onkel Tinsley in den Zeugenstand rufen, damit wir beschrieben, in welch elendem Zustand Liz nach Hause gekommen war. Anschließend würde er Wayne aussagen lassen, was er beobachtet hatte, während er den Wagen fuhr, in dem Liz und Maddox saßen, und schließlich würde er Liz aufrufen, damit sie ihre Version der Ereignisse schilderte.
    Für mich sah das Ganze wie eine todsichere Sache aus. Maddox hatte getan, was er getan hatte. Er wusste das, wir wussten das, und sobald die Geschworenen die Wahrheit gehört hätten, würden auch sie das wissen. Wir konnten schließlich einen Augenzeugen aufweisen, und der war nicht befangen, da er weder ein Verwandter noch ein Freund war. Er war vollkommen unparteiisch. Wie sollten wir da verlieren?
    Das sagte ich Liz immer wieder, doch je näher der Prozessbeginn rückte, desto unruhiger wurde sie. Sie war ein einziges Nervenbündel, und manchmal würgte sie, als müsste sie sich gleich übergeben.
     
    Am Morgen des ersten Prozesstages war der Himmel klar, aber es war so bitterkalt, dass die Rhododendronblätter sich zusammengerollt hatten und aussahen wie Zigarillos. Liz, Mom und ich waren im Vogeltrakt gerade dabei, uns anzuziehen, als Liz eine Hand vor den Mund schlug und ins Bad rannte. Ihr Magen war leer, aber ich hörte sie über der Toilette würgen und nach Luft schnappen. Als Liz wieder rauskam, wischte sie sich mit dem Handrücken über den Mund, und Mom hielt ihr eine Packung Pfefferminzbonbons hin. »Nervosität muss nichts Schlechtes sein«, sagte sie. »Die meisten Künstler sind vor ihren Auftritten aufgeregt. Katharine Hepburn musste jeden Abend kotzen, ehe sie auf die Bühne ging.«
    Ich zog die limonengrüne Hose an, die ich seit dem ersten Schultag nicht mehr getragen hatte, und Liz griff sich ihren orange-lila Rock. Wir wollten eine gute Figur machen, und das waren die einzigen schicken Sachen, die wir hatten – ich trug meistens Jeans und Liz Klamotten im Gypsy-Look, die sie sich aus Moms alten Sachen vom Dachboden zusammengesucht hatte. Wir hatten die Kleider verbrannt, die Maddox für uns gekauft hatte. Ich fürchtete, dass Mom eines ihrer Hippie-Kleider anziehen würde oder vielleicht sogar eines mit tiefem Ausschnitt. Stattdessen entschied sie sich für eine schwarze Hose und ihre rote Samtjacke, als hätte sie einen Bühnenauftritt.
    »Mom, meinst du wirklich, das ist die richtige Garderobe?«, fragte ich.
    »Ihr zwei könnt euch ja für den Richter anziehen, wenn ihr wollt«, sagte sie. »Ich ziehe mich für die Geschworenen an.«
    Onkel Tinsley wartete unten an der Treppe auf uns. Er trug einen Nadelstreifenanzug mit Weste und einer kleinen goldenen Kette, die aus der Uhrentasche hing. Niemand hatte Appetit auf Frühstück, und wir stiegen direkt in den Woody. Während der Fahrt in die Stadt versuchten wir alle, Liz Mut zu machen.
    »Lass dich von Maddox nicht einschüchtern«, sagte ich. »Der ist bloß ein blöder Rüpel.«
    »Die Fakten und die Rechtsprechung sind auf deiner Seite«, sagte Onkel Tinsley. »Alles wird gut.«
    »Halte Blickkontakt«, sagte Mom, »atme immer schön tief ein und bündele dein Qi.«
    »Genau das brauch ich jetzt – Plattitüden vom Pep-Team«, sagte Liz. »Ihr seid einfach unerträglich.«
    Das setzte unseren Aufmunterungsversuchen ein Ende. Wir fuhren ein paar Minuten schweigend weiter, dann sagte Liz: »Tut mir leid. Ich weiß ja, ihr meint

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