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Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition)

Titel: Die andere Seite des Himmels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeannette Walls
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es gut. Ich will einfach nur, dass es vorbei ist.«
    Das Gerichtsgebäude auf der Holladay Avenue war ein großer Steinbau mit Türmchen und hohen Fenstern und einer Statue davor, die einen Südstaatensoldaten darstellte. Als wir durch die gläserne Drehtür kamen, sahen wir, dass so ziemlich jeder, der mit dem ganzen Schlamassel irgendwie zu tun hatte, in der Eingangshalle herumstand. Maddox war da, in einem glänzenden, dunkelblauen Anzug, zusammen mit Doris und den Maddox-Kindern. Doris hatte das Neugeborene auf dem Arm, Jerry jr. klammerte sich an ihren Rock, und Cindy hielt Randy fest, der inzwischen zwei Jahre alt war. Als Maddox uns erblickte, starrte er uns finster an. Ich starrte ebenso finster zurück. Wenn er glaubte, ich würde als Erste wegschauen, hatte er sich geschnitten.
    Dickey Bryson unterhielt sich mit einem Mann im Anzug und sagte irgendwas, das den anderen zum Lachen brachte. Der Mann drehte sich um und fing an, mit Maddox zu reden, während Dickey Bryson zu uns rüberkam, eine dicke Akte unter den Arm geklemmt. Er erklärte uns, dass der Mann, der jetzt mit Maddox sprach, dessen Anwalt war, Leland Hayes. Er würde uns ins Kreuzverhör nehmen.
    »Ist das denn richtig, dass Sie mit Maddox’ Anwalt rumflachsen?«, fragte ich.
    »Byler ist eine Kleinstadt«, sagte er. »Da sollte man zu jedermann freundlich sein.«
    Kurz vor neun kamen Joe und Tante Al durch die Drehtür, gefolgt von Wayne, der ein letztes Mal an seiner Zigarette zog und sie dann in dem großen Aschenbecher der Lobby ausdrückte. Ehe ich seinen Blick auffangen konnte, öffnete der Gerichtsdiener schon die Tür zum Saal und rief alle herein.
    Der Gerichtssaal hatte eine hohe Decke, an der etliche wuchtige Messingkronleuchter hingen, und hohe Fenster, die das bleiche Märzlicht hereinließen. Alles wirkte irgendwie schwer und gewichtig, die Bänke und die Holzstühle der Geschworenen sahen hart aus, als wären sie extra so gemacht worden, damit auch ja keiner gemütlich saß.
    »Erheben Sie sich«, rief der Gerichtsdiener, und das Geräusch, das wir machten, als wir alle gleichzeitig aufstanden, erinnerte mich an die Kirche. Dann kam der Richter, ein ernster Mann, dessen schwarze Lesebrille, die ihm ganz vorne auf der Nasenspitze klemmte, zu seiner schwarzen Robe passte. Er nahm hinter seiner großen, erhöhten Richterbank Platz und sah die Papiere durch, die dort lagen, ohne auch nur einen Blick auf die Leute im Saal zu werfen.
    »Richter Bradley«, flüsterte Onkel Tinsley. »Der war gleichzeitig mit mir an der Uni in Lexington.«
    So weit, so gut, dachte ich. Die uniformierten Deputys, der Richter in seiner Robe, die Gerichtsschreiberin an ihrer seltsamen kleinen Schreibmaschine, das alles erweckte den Eindruck, als würde der Prozess sehr seriös und korrekt ablaufen, was ich als positives Zeichen auffasste.
    »Mr Maddox«, sagte der Richter. »Bitte erheben Sie sich, während die Anklage verlesen wird.«
    Maddox stand auf und straffte die Schultern. Eine Frau an einem kleinen Schreibtisch vor der Richterbank stand ebenfalls auf und las die Anklage gegen ihn vor: versuchte Vergewaltigung, schwerer sexueller Missbrauch, tätlicher Angriff und Köperverletzung.
    »Angeklagter, bekennen Sie sich schuldig oder nicht schuldig?«, fragte der Richter nach jedem Anklagepunkt.
    »Nicht schuldig!«, sagte Maddox jedes Mal, und seine laute Stimme hallte von der hohen Decke wider.
    »Sie können jetzt Platz nehmen.«
    Maddox setzte sich. Er und sein Anwalt saßen an einem Tisch am hinteren Ende des Geländers, das den Zuschauerraum abtrennte. An dem Tisch neben ihrem war Dickey Bryson emsig dabei, sich Notizen zu machen. Ich hoffte, dass Maddox spürte, wie sich mein Blick in seinen Hinterkopf bohrte. Ich starrte ihn nämlich noch immer finster an und hatte nicht vor, damit aufzuhören.
    Ein uniformierter Deputy führte eine Gruppe von Männern und Frauen herein, die auf einer Seite des Saales Platz nahmen. »Aus denen werden die Geschworenen ausgewählt«, flüsterte Onkel Tinsley. Etliche von ihnen hatte ich schon in der Stadt gesehen, auf dem Hügel, bei Footballspielen oder im Lebensmittelladen. Auch Tammy Elbert war dabei, die Frau, die uns nach Mayfield gefahren hatte, als wir frisch in Byler angekommen waren, und die gesagt hatte, in ihrer Schulzeit hätte sie Gott weiß was dafür gegeben, Charlotte Holladay zu sein. Ich fand, das war ein weiteres gutes Zeichen.
    Der Richter redete eine Weile darüber, wie toll unser Rechtssystem

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