Die Anderen - Das Dämonenmal (German Edition)
dem Donnern der elektrischen Ladungen des Himmels verschwunden.
Blitze zuckten im Sekundentakt über den Himmel, gefolgt von stakkatoähnlichen Donnerschlägen. Die ganze Wucht des Sommergewitters brach über Lüneburg nieder. Die Natur schien sich auszutoben, ihrer zerstörerischen Lust freien Lauf zu lassen. Wieder und wieder schlugen Blitze in Bäume ein, bebte Luft und die Erde duckte sich unter den krachenden Donnerschlägen. Die Luft war voller Elektrizität, voller geballter Energie. Der Regen setzte schlagartig ein und ertränkte alles in Strömen aus flüssigem, weißblauem Licht unter dem aufgebrachten Himmel.
Es war, als ob der Dämon in sein ureigenstes Element zurückgekehrt wäre. Zurück in Luft, Feuer und Schwärze. Das Toben der Elemente um ihn her schien sein Innerstes widerzuspiegeln. Die unbändige Lust, die Gier nach Blut, nach Fleisch, nach Energie, nach Berührung und Vereinigung. Nach Leben in seiner essentiellen Form. Diese ganze Energie um ihn her, die er nicht haben konnte, nicht berühren, nicht kosten durfte. Es war nicht seine. Der Dämon gierte danach, brauchte sie wie reines, klares Wasser zum Überleben. Energie. Pure, reine Lebensenergie, sexuelle Energie, die Energie eines Orgasmus, die ihm noch nie so wertvoll erschienen war wie jetzt. Er spürte einen Hunger, eine nahezu unstillbare Gier und ein Verlangen, wie er es seit den ersten Anfängen nie mehr verspürt hatte. Dafür wurde er erschaffen, dafür lebte er, davon lebte er! Pures, reines Leben.
Der Regen prasselte auf seine Gestalt, die sich im Geäst einer Eiche verborgen hielt und dort mit den Schatten verschmolz. Die Zweige und Blätter peitschten wild um ihn herum, machten ihn unsichtbar, im Flackern von weißblauem elektrischen Licht. Selbst wenn einer der armseligen, kurzlebigen Menschen sich in das Toben der Elemente hinaus wagen und seinen Blick zu ihm hinauf wenden würde, er würde ihn nicht wahrnehmen können. Der Dämon war Teil der Schatten, Teil des Lichtes, Teil des Windes und der Nacht. Teil der Schwärze.
Die ledernen Flügel waren zusammen gefaltet, der Kopf mit den Hörnern leicht gesenkt, sodass das Wasser ihm kühl über den gekrümmten Nacken und Rücken floss und von seinem Kinn tropfte. Es kümmerte ihn nicht. Wasser war kein Element, welches ihm etwas anhaben konnte.
Seine Augen waren geschlossen, in sich gerichtet, blickten auf das Äquivalent des um ihn tobenden Gewitters, das nicht minder aufgewühlt in seinem Inneren tobte. Er sah nur ihn vor sich, das erschrockene, lustvoll verzerrte Gesicht. Finn! Dieser junge Mensch. Seine Gestalt. Sein Gesicht. Sein Geruch. Sein Blut. Sein schlagendes Herz. Seine unglaublich starke Präsenz. Nur kurz, nur ganz kurz hatte er an der Oberfläche kratzen können, einen winzigen Blick auf das Darunterliegende werfen können. Nur einen winzigen Spalt hatte er geöffnet, lediglich einen minimalen Haarriss im Gefüge und es hatte ihn fast mitgerissen! So viel Leidenschaft, so viel Potential, so viel von dieser kostbaren, süßen Energie. Seine eigene Erregung war ins Unermessliche gestiegen und doch hatte der junge Mensch es geschafft, die Kontrolle zu behalten, hatte sich ihm entgegen gestemmt und sich ihm entzogen. Ihm!
Der Dämon lächelte in sich hinein. Es war faszinierend und erschreckend zugleich. Beängstigend, wenn er ein solch fremdes Gefühl überhaupt empfinden konnte. Selten konnte jemand ihm entgegentreten und sich ihm widersetzen. Aber dieser junge Mensch hatte es getan. Tief in Finn schlummerte ein starkes Erbe, bereit zu erwachen, oder sogar bereits am Erwachen.
Warum er? Warum vermochte Finn ihn so zu kontrollieren, verhinderte, dass er sich einfach nahm, was er so begehrte? Warum war bei ihm alles so anders, so verwirrend, so unbekannt und neu?
Das alte Blut? Nein, denn das hatte der Dämon schon zuvor gekostet. Mehr als einmal. Selbst wenn das Erbe bereits erwacht war. Es war ein Spiel mit dem Feuer gewesen, welches er stets gewonnen hatte. Aber niemals war es so wie jetzt gewesen. Es schien dem Dämonen so, als ob er sein ganzes Leben, seine ganze Existenz lang, auf ihn und einzig allein auf ihn gewartet hätte. Auf einen Menschen? Es veränderte ihn. Finn veränderte ihn.
Es war erschreckend und beängstigend, aber er spürte genau, wie ihm jedes Mal die Kontrolle ein wenig mehr entglitt und doch konnte er es weder verhindern noch beenden. Dazu war sein Verlangen nach diesem Menschen zu groß, seine ungestillte Sehnsucht zu
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