Die Angebetete
Strophe aus einem von Kayleighs Songs«, sagte Harutyun.
Das erweckte eindeutig Rhymes Interesse. »Wie außergewöhnlich«, sagte er und befand, das sei entschieden zu viel Begeisterung gewesen. »Gut. Und er ist gerissen, richtig? Er hat mit Telefonen angefangen und ist dann auf andere Arten umgestiegen, das Lied zu spielen. Eine Wunschsendung im Radio womöglich?«
»Sehr gut, Sir«, sagte Stanning. »Keine Wunschsendung, aber das letzte Mal hat er den Song über die Lautsprecheranlage eines Highschool-Sportplatzes abgespielt.«
Rhyme runzelte die Stirn. »Das wäre mir nicht eingefallen. Wie gesagt, sehr interessant.«
»Wir suchen derzeit nach einer Zeugin, die ihm ein Alibi verschaffen könnte«, fügte Dance hinzu. »Und er behauptet, jemand habe ihn beobachtet, angeblich um ihm die Verbrechen unterzuschieben. Damit hängen einige der Spuren zusammen, um deren Einschätzung wir Sie bitten.«
»Haben Sie den Mann vernommen?«, fragte Sachs.
»Ja, aber die Kinesik war nicht schlüssig. Ich kann zumindest bestätigen, dass er eine Stalker-Persönlichkeit hat: verminderter Affekt, Bindungsstörungen, Realitätsprobleme.«
Die Frau aus New York nickte. Kathryn Dance sah nach unten; sie liebte Schuhe und konnte nicht anders, als Amelia Sachs’ schwarze hochhackige Stiefel zu bewundern, dank derer die ohnehin hochgewachsene Frau – ein ehemaliges Mannequin – noch imposanter wirkte.
»Haben wir Proben aus Edwins Haus oder Wohnung?«, fragte Rhyme.
»Haus«, sagte Dance. »Er hat uns die Erlaubnis gegeben, könnte vorher aber gründlich geputzt haben.«
Harutyun ergänzte, eine frühere Durchsuchung ohne entsprechenden Beschluss habe dazu geführt, dass der Chief of Detectives und ein Deputy suspendiert worden seien. Der Täter habe zudem die Waffe eines anderen Detective entwendet, was ebenfalls zu einer vorläufigen Suspendierung geführt habe.
»Ein verrückter Hund«, merkte Rhyme an und klang dabei seltsam zufrieden – vielleicht weil er Gegner mochte, die besonders schlau und herausfordernd waren. Sein größter Feind hieß Langeweile.
Gleich darauf erreichten sie das Labor, wo Charlie Shean sie bereits erwartete. Schon Harutyun war von Rhymes Anwesenheit beeindruckt gewesen; Shean aber war außer sich vor Ehrfurcht, einen so legendären Kollegen in seiner »bescheidenen Hütte« begrüßen zu dürfen.
Ungeachtet seiner anfänglichen Befürchtungen war Rhyme jedoch von der technischen Ausstattung des Labors sichtlich angetan. Dance wusste, dass manche Leute einfacher zu lesen waren als andere, und obwohl Rhyme naturgemäß nur über eine sehr eingeschränkte Körpersprache verfügte, war er für sie wie ein offenes Buch.
Charlie Shean erläuterte dem Kriminalisten nun, in welcher Hinsicht seine Fachkenntnis benötigt wurde. »Wir haben die Spuren gesichert und analysiert, aber die meisten Resultate sind bloß Rohdaten. Wir wissen nicht, was davon zu halten ist. Falls Ihnen etwas dazu einfällt, wären wir für Ihre Hilfe sehr dankbar.«
Rhyme nickte nachdenklich und schaute zur Decke empor. Dann sagte er abrupt: »Sachs, lass uns eine Tabelle anlegen.«
Er griff bei seinen Fällen stets auf dieses Hilfsmittel zurück und ließ jemanden eine Aufstellung der gesammelten Spuren auf eine Tafel schreiben – vor der er dann mit seinem Rollstuhl hin- und herfuhr, die Stirn runzelte und leise Selbstgespräche führte, während er Schlüsse zog und zu Ergebnissen gelangte – oder auch nicht. Shean zählte nun auf, was sie gefunden hatten, und Sachs schrieb mit.
SONNTAG. MORD AN ROBERT PRESCOTT.
KONGRESSZENTRUM: BÜHNE/ORCHESTERGRABEN/SCHEINWERFERGESTÄNGE
Scheinwerferriegel:
Keine passenden Fingerabdrücke.
Keine passenden Werkzeugspuren
(Riegel wurde von Flügelmuttern gehalten).
Stromkabel, 15 Meter:
Keine passenden Fingerabdrücke.
Rauchmelder im Orchestergraben, unbrauchbar gemacht:
Keine passenden Fingerabdrücke.
Wischspuren stammen von Latexhandschuhen; Marke unbekannt; keine Übereinstimmung mit Handschuhen in Edwin Sharps Besitz.
Pappkartons; wurden von der geplanten Aufschlagstelle des Opfers entfernt:
Keine passenden Fingerabdrücke.
Wischspuren stammen von Latexhandschuhen; Marke unbekannt; keine Übereinstimmung mit Handschuhen in Edwin Sharps Besitz.
Ungewöhnliche Partikel von Bühne/Orchestergraben/Scheinwerfergestänge:
Triglycerid-Fett (Schweineschmalz).
Farbtemperatur: 2700 K (gelblich).
Schmelzpunkt: 5–13 °C.
Spezifisches Gewicht: 0,91 bei 40 °C.
Keine
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