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Die Angebetete

Die Angebetete

Titel: Die Angebetete Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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ihn sich mit der Marke nach vorn an den Gürtel, was sie sonst nie machte, auch nicht im Dienst.
    Dann ging sie auf Harutyun zu.
    Lächelnd, mit freundlichem Nicken.
    Er schien zwar auch nicht häufiger zu lächeln als sein Vorgesetzter, aber in seinem Blick lag kein Argwohn. Allenfalls ein wenig Verlegenheit, vermutlich weil er nicht alles stehen und liegen gelassen hatte, um Kayleighs Song »Your Shadow« auf potenzielle Tatorte zu überprüfen.
    »Dennis.«
    »Hallo, Kathryn.«
    Sie erinnerte sich, wie Madigan von seinen direkten Untergebenen meistens genannt wurde. »Der Chief befragt gerade Edwin. Wo ist das Beobachtungszimmer für Verhörraum drei? Ich hab mich wohl verlaufen.«
    Der Bluff funktionierte. Harutyun schöpfte keinen Verdacht und nahm an, sie sei befugt, sich hier aufzuhalten. Er führte sie den Gang entlang und hielt ihr sogar höflich die Tür auf. Dann schaltete er in dem kleinen, engen Raum das Licht an. Edwin oder Madigan würden nichts davon mitbekommen; Beobachtungszimmer waren ausnahmslos licht- und schalldicht, auch wenn jeder Fernsehzuschauer wusste, dass der Spiegel von der Rückseite aus durchsichtig war und es dort Kameras, Cops und Zeugen gab.
    Sie hatte ein mieses Gefühl, Harutyun auf diese Weise zu benutzen. Doch sie war entschlossen, für Kayleigh Townes Sicherheit zu sorgen, und obwohl sie nicht infrage stellte, dass auch Madigan aufrichtig darum bemüht war, bezweifelte sie durchaus seine Befähigung, einen Verdächtigen wie Edwin in den Griff zu bekommen.
    Und, o ja, sie war noch immer stinksauer.
    Sie musterte den Verhörraum. Er war karg eingerichtet. In der Mitte gab es einen großen Tisch mit Holzfaserplatte, dazu ein halbes Dutzend Stühle sowie einen kleineren Beistelltisch mit einigen Flaschen Wasser und Notizpapier. Die Wände waren vollkommen schmucklos.
    Keine Bleistifte oder Kugelschreiber.
    Madigan ging das Verhör professionell, aber ohne rechte Begeisterung an, stellte Dance fest. Er saß vorgebeugt da, konzentriert, aber nicht bedrohlich. Er war selbstsicher, gab sich aber nicht so autoritär und herrisch wie sonst (diese Haltung war anscheinend für unerwünschte Kollegen anderer Behörden reserviert). Er gestikulierte nur sparsam, weil das den Verdächtigen ablenken konnte. Er ging respektvoll mit Edwin um, erkundigte sich nach seinem Befinden und danach, ob ihm zu warm oder zu kalt sei.
    Dance ging davon aus, dass die Eiscreme als eine Art Requisit fungieren sollte. Jedes einzelne Wort und jede Geste eines Vernehmungsbeamten verrät dem Verdächtigen ein Stückchen mehr über sein Gegenüber. Man sollte niemals etwas sagen oder tun, das nicht dem Verhör diente. Einen Schluck Kaffee trinken, sich am Kopf kratzen, die Stirn runzeln … Doch offenbar gehörte das Eis doch nicht zum Plan des Detective. Er verspeiste es mit sichtlichem Genuss und warf den Becher weg. Edwin ließ ihn dabei keine Sekunde aus den Augen.
    Madigan beging jedoch mehrere Fehler. Einer war, dass Edwin auf der anderen Seite des Tisches saß. Es wäre besser gewesen, ihm ohne weiteres Mobiliar gegenüberzusitzen. Tische, andere Stühle, alle Arten von Gegenständen verliehen dem Verdächtigen ein Gefühl der Sicherheit.
    Dann bot er Edwin auf plumpe Weise Wasser an, indem er einfach auf die Flaschen zeigte, anstatt ihm eine zu holen. Es war vermutlich ein Versuch, an Edwins Fingerabdrücke zu gelangen, und auch Edwin schien das zu begreifen, denn er lehnte ab. Madigan hatte mit seiner Geste einen Teil seiner Strategie preisgegeben.
    Doch der nach Dance’ Ansicht größte Fehler kam als Nächstes.
    »Darf ich fragen, worum es hier überhaupt geht, Pike?«
    »Robert Prescott.«
    Das hätte ich nicht gemacht, dachte sie.
    »Ach, Kayleighs Roadmanager«, sagte Edwin nickend und rieb sich die Stirn.
    »Wo waren Sie gestern Abend, als er gestorben ist?«
    O nein.
    Dance erkannte, dass sie es laut ausgesprochen haben musste, denn Harutyun neigte seinen Kopf in ihre Richtung.
    »Was? Nein, er ist tot?« Edwin wirkte erschrocken.
    »Und Sie wussten das gar nicht?«
    »Nein, nein. Wie schrecklich. Er und Kayleigh haben sich sehr nahegestanden. Was ist passiert?«
    »Er ist verbrannt. Sie wollen also behaupten, dass Sie gestern Abend nicht im Kongresszentrum gewesen sind?« Er beugte sich nun bedrohlich vor.
    Dance kannte Madigans Ansatz. Er wurde als Blunt-Force-Angriff bezeichnet – benannt nach der Brute-Force-Methode von Hackern, die mithilfe von Großrechnern einfach alle möglichen Passwörter

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