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Die Angst der Boesen

Die Angst der Boesen

Titel: Die Angst der Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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Überholspur, Lichthupe im Dauereinsatz. Dazu hatte er die härteste Musik, die er besaß, so laut wie möglich aufgedreht, aber seine quälenden Erinnerungen konnte sie nicht übertönen.
    Immer wieder glaubte er die Stimmen der Jugendlichen zu hören und in der Geräuschkulisse dahinter das Wimmern, das klang, als käme es von einem sterbenden Tier. Das war sein Sohn gewesen, daran hatte er mittlerweile keinen Zweifel mehr.
    Martin war vorhin in der Nähe gewesen. Er hatte seinen Anruf wahrscheinlich mitbekommen, hatte den Arm nachdem Handy ausgestreckt, vielleicht sogar leise »Papa« gesagt, so wie nur ganz, ganz früher als Kind.
    Gerd würde dieses Telefonat nie vergessen können, das wusste er schon jetzt. Manche Sachen, die zu sehr wehtaten, vergaß man nicht. Da konnte man noch so alt werden.
    Auch er hatte als Junge immer wieder Schläge aushalten müssen. Das war mehr als dreißig Jahre her und trotzdem konnte er sich an die hässlichsten und schmerzhaftesten Momente seiner Kindheit noch so intensiv erinnern, als seien sie erst gestern gewesen.
    Jetzt stiegen Bilder in ihm auf, und weil er das nicht wollte, stellte er die Musik lauter, kniff die Augen zusammen, als könne er sich so gegen die Dunkelheit auf der Straße und in seinem Innern schützen, und gab noch mehr Gas.
    Er konzentrierte sich aufs Fahren, nur aufs Fahren.
    Seine Vergangenheit war vorbei, obwohl die Rechnungen noch immer offen waren und es auch bleiben würden. Gerds Vater lebte nicht mehr.
    Gerd war jetzt selbst ein Vater – einer, der endlich allen Dreck hinter sich lassen wollte.
    Wieder eine Baustelle. Gerd musste bremsen und runterschalten, weil ein LKW so mittig fuhr, dass er nicht vorbeikam. Er fluchte, wollte sich nicht mehr von anderen ausbremsen lassen.
    Er wollte handeln. Für Martin, für sich selbst.
    Baustellenende. Er war unterwegs.
12
    Paul lag genau wie Lilly angezogen auf einem der oberen Stockbetten des offiziell unbenutzten Zimmers im Souterrain. Sie unterhielten sich im Flüsterton und waren so frohüber ihren kleinen Coup mit dem Extrazimmer, dass sie über den Beginn des Abends kein Wort mehr verloren.
    Lilly kicherte in einer Tour. »Die Wolldecke riecht ein bisschen muffig.«
    »Hier war bestimmt schon ewig keiner mehr drin.«
    »Tja, Paule, ein Geheimzimmer ist halt keine Luxussuite.«
    »Und kein Penthouse. Wenn ich später mal richtig viel Geld verdiene, kauf ich mir ein Penthouse und richte das ganz schrill ein.«
    »Ich helf dir dabei.« Lilly wälzte sich genüsslich hin und her. »Kochst du dann auch für mich?«
    »Asiatisch.« Er untermalte seine Worte mit den Händen. »In meiner riesigen, chromglänzenden Megaküche. Und dann setzt du dich auf mein Kuhfellsofa mit den flauschigen roten Herzchenkissen, die du mir geschenkt hast ...«
    »Geil.«
    »Weißt du übrigens, dass die schöne Wohnung bei uns unterm Dach frei geworden ist? Mama sucht schon länger einen Nachmieter, aber mir gibt sie sie nicht. Sie meint, wir bräuchten die Kohle.«
    Plötzlich waren auf dem Gang Schritte zu hören.
    »Lilly? Paul? Seid ihr hier?«, fragte die zaghafte Stimme von Silke Hoffmann.
    Mit einer einzigen Bewegung verständigten sich die beiden, dass sie sich nicht zu erkennen geben würden. Auch als die Klinke heruntergedrückt wurde und Paul die Lehrerin enttäuscht »Fehlanzeige« sagen hörte, rührten er und Lilly sich nicht.
    Frau Hoffmann konnte eine unruhige Nacht wohl mal vertragen. Dafür wurde sie schließlich bezahlt.
    Kurze Zeit später schlief Lilly ein.
    Paul dagegen konnte keine Ruhe finden. Zwar war er inSicherheit, hatte die Lehrerin und die Mitschüler ausgetrickst und seine beste Freundin bei sich, aber das hässliche Bild des zusammengetretenen Obdachlosen ließ ihn nicht los. Je mehr seine Aufregung abklang und je mehr Zeit er zum Nachdenken hatte, desto drängender wurde die Frage, was aus dem jungen Mann geworden war. Würde er irgendwann heute Nacht zu sich kommen und sich blutend nach Hause schleppen? Wohl kaum. Erstens hatte er kein Zuhause und zweitens war er derart gestiefelt worden, dass er schon zäh sein musste, um die Verletzungen wegzustecken. Würde er die Polizei einschalten? Einer wie der? Wohl eher nicht. Aber wenn der Typ sie nicht selbst anzeigte, würde sein Arzt es tun – denn einen Arzt würde er brauchen, so viel war sicher.
    Paul wälzte sich von einer Seite auf die andere. Sein schlechtes Gewissen verursachte ihm immer stärkere Magenschmerzen. Er war so ein verdammter

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