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Die Angst der Boesen

Die Angst der Boesen

Titel: Die Angst der Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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auch nicht.«
    »Es ist unsere Abschlussfahrt! Da muss man feiern. Das werden Sie wohl verstehen. Nur ticken gerade zwei von unseren Schlägertypen voll aus und haben es auf Paul abgesehen, weil ... weil ...«
    Sag es, dachte er. Sag ihm, was Paul für einer ist. Sag’s doch, es macht mir nichts.
    »Weil er ... kein Schlägertyp ist?«
    Paul lächelte. Herr Franke war einfallslos.
    »Genau«, sagte Lilly.
    »Du bist so was wie der Außenseiter der Klasse, stimmt’s?«Jetzt mimte der Wirt psychologischen Durchblick und kratzte sich nachdenklich am Bart.
    »Sie helfen uns ja eh nicht«, antwortete Paul.
10
    Tatjana hatte lange warten müssen, bis der Waschraum endlich frei war. Beim Saubermachen von Leons besudeltem Zeug konnte sie keine Zeuginnen gebrauchen. Nicht nur, weil sie Leon schützen wollte, sondern auch, weil sie selbst auch nicht gerade scharf darauf war, bei solch einer Hausfrauentätigkeit gesehen zu werden.
    Schnell zerrte sie seine Jeans und Turnschuhe aus der Plastiktüte. Gott, wie das stank. Sie warf die Hose angewidert auf den Boden, stellte die Schuhe in ein Waschbecken und drehte den Hahn auf. Das Wasser färbte sich rotbraunocker, bevor es röchelnd im Abfluss verschwand.
    Sie konnte nicht hinsehen, riss stattdessen massenhaft Papiertücher ab. Ein hässliches Geräusch, wie pfeifende, schnappende Atemzüge.
    Der Schweiß brach ihr aus, Tränen flossen. Sie musste aber die Nerven behalten, sich beeilen, denn jeden Moment konnte jemand reinkommen.
    Also zog sie den ersten triefend nassen Schuh aus dem Becken und bearbeitete ihn wild mit einer Schicht Tücher. Als sie über die Sohle fuhr, diese harmlose, griffige, gummiartige Turnschuhsohle, zitterte ihre Hand. Dass Leon zu solch einer Brutalität fähig gewesen war!
    Nie hätte sie das gedacht. Und sie wollte ganz sicher keinen Freund, der sich später, wenn man eines Tages zusammenwohnte, vorm Fernseher besoff und dann ihr oder den Kindern gegenüber austickte.
    »Das macht Leon nicht, niemals«, sagte sie zu sich selbst.
    Überzeugend klang das nicht. Da waren zu viele Tränen, die Schuhe stanken zu sehr und die Hose lag auf dem Boden wie weggeworfen – halb tot und mit verdrehten Beinen.
    Tatjana schluchzte.
    Der ganze Scheißabend hatte mit Lillys Geschichte seinen Anfang genommen. Alles lag nur daran, dass Lilly so gut erzählen konnte, detailreich und widerlich. Lilly war plötzlich so verletzlich gewesen und hatte so viel Verlässlichkeit gefordert – zu viel auf einmal. Tatjana war auch nur ein Mensch, auch nur ein Mädchen.
    Der erste Schuh fertig, jetzt der zweite.
    Auf dem Gang waren Schritte und Stimmen zu hören. Sie zerrte die Tüte über die Jeans, beugte sich tief übers Waschbecken.
    Die Tür flog auf. »Lilly? Bist du hier?« Aileen, Ebru, Hatice, Kim, Nina – das ganze Volk.
    »Die ist hier nicht«, antwortete Tatjana möglichst unfreundlich.
    »Ey, wo ist die?«, fragte Hatice.
    »Keine Ahnung, hier jedenfalls nicht.«
    »Du bist doch ihre Freundin!«
    Tatjana zuckte die Achseln. Sie hatte keine Ahnung, ob sie und Lilly echte Freundinnen waren. Auf jeden Fall war sie jetzt, da Tatjana sie gebraucht hätte, nicht da; sie war abgehauen mit Paul. Das zumindest schienen ihre Mitschülerinnen schon zu wissen.
    »Geht die jetzt etwa mit Paule?«, fragte Nina.
    Tatjana wusste, dass das nicht so war, schwieg aber. Solange sie über Lilly rätselten, achteten sie hoffentlich nicht auf das, was Tatjana tat.
    »Boah, macht die’s jetzt auch noch mit Paul? – Treibt die’s mit jedem aus der Klasse? – Ist die ’ne Nutte oder was?« DieStimmen der Mädchen überschnitten sich. Die Tür ging wieder zu; die Gruppe zog weiter den Gang hinunter, kreischendes Gelächter, das irgendwann verebbte. Tatjana hörte wieder das Gurgeln des Wassers.
    Der andere Turnschuh war jetzt auch sauber, beschloss sie. Sie stopfte beide mit Papier aus und nahm sich dann die Jeans vor. Zuletzt wusch sie sich ihr eigenes Gesicht, trocknete es erschöpft mit den rauen grauen Tüchern. Womit hatte sie das alles verdient?
    Und er, der Obdachlose?
    Ob er noch lebte? Ob er auch gerade versuchte, sich das Gesicht abzuwischen? Ob er überhaupt was sehen konnte? Wegen der zugeschwollenen Augen und wegen des Deckels wohl eher nicht.
    Verflixte Heulerei. Tatjana griff nach einem neuen Tuch. Für das, was sie getan hatten, konnte man ins Gefängnis kommen, oder?
11
    Gerd scherte sich einen Dreck um die Geschwindigkeitsbegrenzung. Er flog förmlich auf der

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