Die Angst der Boesen
hatte leiden müssen.
Vor allem hieß es nicht, dass er nicht bereit wäre zu handeln, wenn jemand seinem Sohn etwas antat. So weit käme das noch. Nie würde er zulassen, dass andere seinen Jungen schlugen.
Das würde er sich nicht auch noch sagen lassen, dass er vor dem Pack nicht zu seinem Sohn gestanden hätte, nein, das bestimmt nicht.
14
Leon hätte seine Mitschüler am liebsten angeschrien, sie sollten leise sein. Ihn plagte ein furchtbarer Kater und der Lärm im Frühstücksraum verstärkte seine Kopfschmerzen. Er wünschte sich zurück in sein durchgelegenes Etagenbett. Warum musste man sie am Sonntagmorgen schon um neun aus den Federn scheuchen? Das war reine Schikane.
Den brummenden Schädel in die Hand gestützt, beobachtete er die Lehrer, die seine Stiefschwester und ihren Freund Paule in die Mangel nahmen. Angeblich waren die beiden heute Nacht nicht in ihren Betten gewesen. Ihm war das nicht aufgefallen, obwohl sich Pauls Bett direkt über seinem befand. Leon wusste ja nicht mal mehr, wie er selbst in seiner Koje gelandet war und wer ihm die schmutzige Jeans und die Schuhe ausgezogen und auf die Heizunggelegt hatte. Bestimmt war es Tatjana gewesen. Zwar war er erst ein paar Wochen mit ihr zusammen, aber sie hatte sich auch um ihn gekümmert, nachdem er sich im Flur der Jugendherberge übergeben hatte. Sie war fürsorglich und stand zu ihm, sogar wenn’s eklig wurde. Ein echter Vorteil, dachte Leon vorsichtig grinsend, besonders, wenn man alkoholbedingt mal wieder einen Filmriss hatte.
Im Augenblick war seine Freundin allerdings ziemlich knatschig.
»Das hat Lilly sich aber selbst zuzuschreiben«, zischte sie ihm ins Ohr. »Wie kommt sie dazu, sich mit dem in ein Extrazimmer zu verziehen? Glaubt sie, sie kann sich alles erlauben?«
Leon gab nur ein kurzes Brummen zur Antwort. Am liebsten hätte er sich die Ohren zugehalten.
»Was die jetzt alle über sie reden! Peinlich wär mir das. So ein Ruf bleibt doch an einem haften.«
»Wieso?«
»Mann, hörst du mir nicht zu?« Tatjana knuffte ihn in die Seite.
»Alle denken doch hier, dass Lilly und Paul ...« Den Rest des Satzes vervollständigte sie mit einer Geste unter dem Tisch.
Leon kniff die Augen zusammen und sah zu seiner Stiefschwester hinüber.
Soweit er wusste, war Lilly zwar andauernd verliebt, aber praktisch immer allein und unglücklich. Sie hatte mal was mit Sven gehabt und auch einen Marius hatte es mal kurz gegeben, einen Lackaffen vom Gymnasium, aber sonst kannte er sie nur solo. Lilly tat gern so, als ob sie an jeder Hand drei Liebhaber hätte und auf Sex genauso wenig verzichten könnte wie Tatjana auf ihre Lieblingsserie. Leon wusste aber genau, dass das nur Show war. Hunde, die lautbellten, bissen nicht – genauso war es auch mit Lilly. Lilly war großmäulig, launisch, geheimniskrämerisch, selbstzerstörerisch und stur; sie war giftig gegenüber ihrer Mutter und schon ein paarmal von zu Hause abgehauen. Aber was Jungs anging, war sie – trotz der Sache mit Sven – eher zurückhaltend. Nichts von dem, was über sie geredet wurde, stimmte. Kam zu ihm oder seinem Vater jemand, den sie nicht kannte, ein Freund von früher oder so, dann schloss Lilly oft ihre Zimmertür ab. Wenn sie ihre schräge Phase hatte, verbarrikadierte die sich regelrecht. Merkwürdig war sie, widersprüchlich und manchmal sehr anstrengend, aber eindeutig keine, die es mit jedem machte. Und schon gar nicht mit Paul. Über den hatte Leon sowieso seine spezielle Meinung.
Wenn er sich momentan nicht so gerädert fühlen würde, würde er es Tatjana auch erklären. Aber jetzt ging es sowieso nicht, denn Paul kam zu ihrem Tisch, während Lilly noch von Frau Hoffmann zugetextet wurde.
»Morgen«, murmelte Paul und setzte sich an Leons andere Seite, allerdings ohne ihn anzusehen.
»Warum habt ihr zwei euch heute Nacht eigentlich abgesetzt?«, fragte Tatjana sofort und lehnte sich vor Leon zu Paul herüber. Ihre langen Haare streiften dabei Leons Marmeladenbrot, aber er hatte sowieso keinen Appetit.
»Warum wohl.« Pauls Antwort kam knapp und unfreundlich. »Glaubst du, ich wollte, dass der Abend so weitergeht?«
»Stell dich nicht so an«, flüsterte Tatjana böse, »das war schließlich Notwehr.«
»Notwehr?«
»Ja!« Jetzt war Tatjana die Sache mit der Marmelade auch aufgefallen.
»Hach, was mach ich denn für eine Sauerei? Sorry, Leon.«Sie suchte etwas, womit sie sich die Haare abwischen konnte.
»Eine Sauerei war das gestern Abend«, sagte
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