Die Angst der Boesen
gewesen sein könnte, und bin auf Paul gekommen, weil nämlich das Kussfoto von dir und Sven weg ist. Weißt du, das Levent im Bus von euch gemacht hat und unter das Sven gekritzelt hat: Sven Lange und Lilly Rembecker = big love forever .«
»So was reißt Paul nicht ab«, sagte Lilly, wirkte aber nicht überzeugt. Nachdenklich setzte sie sich und mixte sich in einem nicht ganz sauberen Glas eine Apfelschorle.
»Von ihm und dir ist aber kein Foto dabei.«
»Paul wollte grundsätzlich nicht mit aufs Plakat. Er hatte Angst, sie würden die Fotos, auf denen er drauf ist, beschmieren.«
Wovor hat der eigentlich keine Angst?, dachte Tatjana, verkniff sich aber einen Kommentar und erzählte weiter, welche Fotos geklaut worden waren: das Foto von Lilly auf Leons Schoß, unter dem Geschwisterliebe stand, außerdem das von Sven, Levent, Ilkay und Leon, auf dem sie sich die Arme über die Schultern gelegt hatten und wie eine Gangsta-Rap-Band aussahen. Auch das Foto von Lilly, Levent und Frau Hoffmann vor der Jugendherberge fehlte.
»Das mit der Hand halb in Hoffmanns Bluse, wisst ihr?« Tatjana kicherte. »Aileen hat gesagt, das könnte auch die Hoffmann selbst abgerissen haben, weil das so dermaßenpeinlich ist. Du musstest ja auch noch den orangefarbenen Hinweispfeil draufkleben.«
»Für mich war die ganze Abschlussfahrt peinlich, weil du meine Geheimnisse ausgeplaudert hast, Tatjana«, sagte Lilly giftig.
»Ach jaa«, machte Tatjana und setzte sich ihr gegenüber, »ich weiß es ja, sorry, tausendmal sorry, aber ich hab es erstens nur Leon weitergesagt, deinem Bruder, und zweitens hab ich mich entschuldigt und versucht, dir zu erklären, warum ich gequatscht hab. Nämlich weil ich so fertig war.«
»Ich hab’s auch nicht weitergesagt«, fügte Leon ernst hinzu.
Zum Glück konnte ich das gerade noch verhindern, dachte Tatjana und fing Lillys Blick auf, der jetzt fast verzweifelt wirkte. In dem Moment wünschte sie sich nichts mehr, als richtig mit Lilly befreundet zu sein, eine Vertrauensperson zu sein und das Vertrauen auch zu verdienen. Aber wie wurde man das?
Wenn sie ehrlich war, vertraute auch sie niemandem wirklich. Sie hatte weder Lilly noch Leon erzählt, wie der furchtbare Abend der Abschlussfahrt weitergegangen war, obwohl beide immer wieder danach gefragt hatten. Leon litt unter seinem Filmriss; seine Gedächtnislücke machte ihm Angst und ärgerte ihn. Lilly war einfach neugierig. Wahrscheinlich dachte sie, ihr lieber, armer Paule sei das Opfer gewesen und der andere Mann nur die Nebenfigur. Manchmal hatte Tatjana Lust, ihr die Wahrheit über Paul zu erzählen, ihr ins Gesicht zu sagen, dass Paul aus Feigheit geholfen hatte, den Gemeinheiten die Krone aufzusetzen.
Dann wieder verwarf sie den Gedanken. Auch wenn sie nicht mit angefasst hatte, war sie genauso mitschuldig wie Paul.
22
Ilkay bekam den Anruf während der entscheidenden Partie gegen den Tabellenführer. Es war das letzte Spiel der Saison, das wichtigste. Bei einem Sieg wären sie Erster in der Bezirksliga, bei unentschieden Zweiter, bei einer Niederlage nur Dritter. Der Kampf um die Spitze war dieses Jahr spannend.
Zur Pause lagen sie drei zu zwei in Führung. Der Sportplatz tobte. An die zweihundert Leute waren gekommen; mit Tröten und Trommeln feuerten sie die Spieler an. Ilkay hatte sich in der Umkleide gerade den Schweiß abgewischt und eine halbe Flasche Wasser getrunken, als das Handy in seiner Sporttasche klingelte. Kurz warf er einen Blick zur Uhr – noch acht Minuten, genug Zeit, um kurz zu hören, wer da was von ihm wollte.
Die Nummer war unterdrückt, aber Ilkay ging trotzdem dran. »Ja?«
Keine Antwort.
»Hallo? ... Hallo! Hey! Ach, Scheiße, Alter, geh ran, ich hab keine Zeit für so Spielchen.«
»Cem?«, fragte eine ihm unbekannte männliche Stimme.
»Falsch. Hier ist nicht Cem. Wer ist da?«
»Zineddine?«
»Willst du mich verarschen?«
»Levent?«
»Du Wichser, ruf jemand andern an, den du nerven kannst!«
Ilkay drückte den Anruf weg und zuckte die Schultern, als ihn seine Mannschaftskollegen fragend ansahen. Vielleicht war das einer von den Gegnern, wollte einer psychologische Kriegsführung gegen die Spieler anwenden. Wieder klingelte es. Wieder die unterdrückte Nummer. Ilkay platzte der Kragen.
»Was willst du, willst du einen in die Fresse?«
»Ilkay, du bist es.« Die Stimme des Fremden klang jetzt ganz ruhig. Sie klang erwachsen und entschieden. »Jetzt kenne ich dich.«
»Was wollen Sie?«
Der
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