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Die Angst der Boesen

Die Angst der Boesen

Titel: Die Angst der Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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Strafe bekommen.
    Das ist alles, was ich noch für dich tun kann, und das werde ich tun.

    »Ich bin kein Mörder«, flüsterte Ilkay, »nein, nein, das bin ich nicht, das war ja so nicht geplant.« Sein Herz stolperte wieder, seine Hand krampfte sich um die Maus. Er konnte nicht anders, er schrie: »Scheißdrogensüchtiger, wärst doch eh krepiert!«
    Der Cursor der Maus fuhr im Zickzack über den Bildschirm. Keine Möglichkeit zu klicken, oder?
    Doch. Bei den Kerzen tat sich etwas: Auf jeder erschien ein einzelner Buchstabe.
    Ilkay wischte sich mit beiden Händen über das Gesicht.
    Sie saßen verdammt tief in der Scheiße.
38
    Tatjana hatte keinen Bock gehabt, abends um halb acht noch mal zur Schule zu fahren. Zum einen hatte sich der Himmel bezogen und es sah nach Regen aus. Zum anderen hatte sie fast den ganzen Tag für Sven geopfert. Jetzt waren alle anderen längst weg, nur sie sollte sich noch einmal mit Lilly an der Gedenkstelle auf dem Schulhof treffen, um die Kerzen anzuzünden. Als diese, an die vierzig Stück, alle brannten, sah es natürlich eindrucksvoll aus. Trotzdem: Hätte Tatjana Lilly nicht beweisen wollen, dass sie eine gute Freundin war, wäre sie nicht gekommen.
    »Okay, alles fertig, jetzt lass uns abzischen«, sagte sie. »Nächste Woche ist ja noch die Beerdigung.«
    »Danach ist Sven ganz vergessen.« Lilly setzte sich auf die Stufen und stützte den Kopf in die Hände.
    »Ach komm, hör auf. Erstens ist es nicht so und zweitens ...«
    »Zweitens?«
    »Nichts. Ich meine nur ... Was fandest du eigentlich an ihm?«
    Lilly antwortete nicht gleich, sondern zupfte an ihrer ausgewaschenen Jeans herum, die sich langsam auflöste. »Er fand mich toll. Er liebte mich. Hat er jedenfalls ein paarmal gesagt und ich hab’s ihm geglaubt, glaub’s auch heute noch.«
    »Ja, okay, aber ... was mochtest du an ihm?«
    »Reicht das nicht?«
    Tatjana wusste keine Antwort. Sie wollte sich nicht setzen, blieb stehen und beobachtete ein Kaninchen, das quer über den Schulhof hoppelte und am Grünstreifen unter den Büschen verschwand. Dort gab es auch Ratten. Die Tiere fanden dort weggeworfene Butterbrote, leckeren Müll, densie zum Überleben brauchten. Vielleicht hatte Lilly recht, man musste sich mit wenig zufriedengeben. Wie die Obdachlosen.
    Das musste sie Lilly ja auch noch erzählen. Für Ebru hatte sie die Story nur kurz zusammenfassen brauchen, aber wie Tatjana Lilly kannte, würde die alle Einzelheiten wissen wollen. Plötzlich erinnerte sie sich genau, wie der Penner sie an der Schulter gefasst hatte. Es war nur eine flüchtige Berührung gewesen, mehr ein Stupser, aber damit war ein ganzer Schwall übler Gerüche auf sie eingeströmt: nach Schnaps, ungewaschenen Haaren, Mundgeruch. Unerträglich war vor allem der intensive Männerschweiß gewesen, wohl weil ihr der Penner mit dem Arm so nah gekommen war – einem Arm, der ihr im ersten Moment in der Dunkelheit jung und kräftig erschienen war und ihr Angst gemacht hatte. Sie hatte sich einfach zu sehr an die schockierende Geschichte erinnert, die Lilly ihr kurz zuvor anvertraut hatte.
    Und dann waren die Dinge ins Rollen gekommen, ohne dass sie sie noch hätte stoppen können.
    »Meine Mutter müsste mich lieben. Aber spüren tu ich da nichts von. Letztens hat sie Richie abends in der Stadt getroffen und sich von ihm einladen lassen. So was kotzt mich an.«
    Genau, Richie hieß er, der perverse Freund, den Lillys Mutter vor Leons Vater gehabt hatte, erinnerte sich Tatjana. Merkwürdig, dass Lilly jetzt auf das Thema kam, an das sie selbst gerade gedacht hatte. Wahrscheinlich lag es an der Uhrzeit. Je später und düsterer es wurde, desto deutlicher sah man zwar den Schein der Kerzen, aber Tatjana fühlte sich auch immer unbehaglicher auf dem abends völlig verlassenen Hofgelände. Das war der Nachteil eines Schulzentrums mit verschiedenen Zweigen, Grundschule bisOberstufe: unzählige Schüler, unzählige Quadratmeter, ein unübersichtliches Sammelsurium von Grün- und Hofflächen, Anbauten, Durchgängen, Baustellen. Das Ganze war wie eine eigene kleine Stadt in der Stadt. Niemand würde sie hören, wenn sie hier um Hilfe riefen.
    »Ja, das ist echt unfair«, stimmte sie Lilly gedankenabwesend zu, »damit fällt sie dir in den Rücken.«
    »Und wenn ich das Paul erzähle, meinem besten Freund, der mich auch irgendwie lieb haben müsste, sagt er: ›Du fällst mir ja auch in den Rücken, indem du dich mit Sven abgibst.‹ Ich hab ihm gesagt, dass das

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