Die Angst der Boesen
sie sich eben im Einbauschrank verstecken.
Natürlich war dieser Gedanke verrückt, trotzdem kicherte Paul bei der Vorstellung übermütig in sich hinein. Er wusste noch gar nicht, was er mit Nico anfangen sollte außer reden, aber sich auszumalen, wie Nolte unten vorm Fenster stand und die Rose in der Schnapsflasche anbetete, während sich über ihm zwei verliebte Jungs im Kleiderschrank tummelten, war einfach zu schön.
Als sollte er für die verbotenen Wünsche bestraft werden, schrillte in diesem Moment ein durchdringender Klingelton durch die Wohnung. Alarm!
Paul hechtete die steile Stiege hinunter, verfehlte aber die letzte Stufe. Er machte einen Riesensatz und ein viel zu lautes Geräusch auf dem Laminatboden, fing sich gerade noch auf, ohne sich zu verletzen, und flüchtete aus der Wohnung. Schlüssel ins Schloss – einmal oder zweimal rumdrehen?
Das hatte er sich nicht gemerkt. Egal. Nichts wie weg! Er sauste ins Erdgeschoss hinunter.
Seine Mutter wartete im Flur. Schnell schob er sie in ihre Wohnung. »Geschafft.«
»Nein, er kommt nicht zurück«, sagte sie ruhig. »Ich wollte nur nicht, dass du weiter da oben rumschnüffelst. Das gehört sich nicht.«
»Was? Oh, Mama! Was war das denn für ’ne Scheißidee!«
Sie hob die Arme und folgte ihm, als er wütend in sein Zimmer verschwand.
»Entschuldige, dass ich dich erschreckt habe. Aber ich hab’s mir eben anders überlegt. Hast du irgendwas gesehen? Wie ist es? Sauber oder ...«
»Alles bestens«, knurrte Paul. »Lass den Mann in Ruhe,der hat einfach nur Liebeskummer. Aber ich, ich habe mir fast die Knochen gebrochen, als ich die Treppe runtergesprungen bin.«
37
Ilkay hatte sich noch nie so unsicher gefühlt wie in den letzten vierundzwanzig Stunden. War er der Nächste auf der Liste von Svens Mörder? Oder war er einfach nur ein bisschen von der Rolle?
Mit niemandem konnte er richtig offen sprechen. Leon hatte sich mit ein paar Flaschen Bier ans Kanalufer verzogen, um sich dort in der Sonne die Birne zuzuknallen. Levent, mit dem er den Nachmittag verbracht hatte, sah das Ganze als großes Abenteuer.
Normalerweise hätte er das vielleicht auch getan – wer sollte ihm schon etwas anhaben –, aber Sven war schließlich tot und Levent hatte gut reden, er hatte die Stimme des Anrufers ja nicht gehört und war vor allem auf dem Friedhof nicht dabei gewesen.
Wie auch immer: Es wurde Zeit, dass Ilkay das Problem selbst in die Hand nahm und tat, was er schon längst hätte tun sollen.
Also hatte er sich vor der Schule von Levent verabschiedet und war nach Hause gegangen. Er hatte sofort mit seiner Recherche anfangen wollen. Doch als er heimkam, stand schon ein Polizeiwagen vor dem Haus und in der nächsten Stunde recherchierten andere.
Dabei fiel die Befragung unproblematischer aus, als Ilkay gedacht hatte. Es ging nur ganz allgemein um Sven und seine Stellung in der Klasse, wen Sven außer Paul noch gemobbt hatte und wer alles eine Rechnung mit Sven offen hatte. DiePolizisten sahen in Ilkay nur einen von vielen Zeugen, die vielleicht hilfreich sein könnten – und keinen Mittäter in einer Körperverletzungssache, die womöglich der Grund für einen geplanten Mord war. Ilkay war trotz seiner Angst nicht so weit, dass er sie selbst auf diese Spur bringen wollte. Während der Befragung zitterten ihm zwar die Knie und er hätte am liebsten alles zugegeben, aber der ärgerliche Gesichtsausdruck seines Vaters hielt ihn in Schach. Ilkay sagte sich, dass es ja auch noch Hoffnung gab. Vielleicht bestätigte sich sein Verdacht nicht. Und wenn doch ... Dann müsste er auf jeden Fall zuerst versuchen, das Problem mit der Hilfe seiner Freunde aus der Welt zu schaffen. Jetzt reden und vor den Bullen den Vater mit dem konfrontieren, was er getan hatte – das war unmöglich. Der würde es ihm nie verzeihen, wenn er es nicht als Erster erführe.
»Wir sind hier, weil wir hoffen, dass Ihr Sohn uns einen Hinweis geben kann«, sagte Kommissarin Steiger mehr als einmal zu seinen Eltern. Ilkay hörte das mit Erleichterung, aber seine Eltern waren trotzdem entsetzt darüber, die Polizei in der Wohnung gehabt zu haben. Sie meinten, alle Nachbarn hätten geglotzt und würden im Nu herumtratschen, Ilkay hätte was angestellt. Und an ihrem Sohn und ihrer Familie würde Schmutz hängen bleiben, egal, ob er Zeuge, Verdächtiger oder Täter war.
Endlich ließen die Beamten sie in Ruhe. Noch eine lange Diskussion mit den Eltern, dann konnte Ilkay sich in sein Zimmer
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