Die Angst der Boesen
was ganz anderes ist. Aber ... ich weiß nicht. Paul hat jetzt seinen Nico und macht Abi ... Über kurz oder lang bin ich für den abgeschrieben.« Lilly hob die Stimme, fuchtelte mit den Händen. »Also, wen hab ich, bitte schön, der mich liebt? Jan-Olli knutscht mit mir rum, weil er gerade Lust drauf hat, und schießt mich dann mit schwachsinnigen Begründungen ab und mein Vater ... pah!«
Tatjana glaubte drüben beim Gebüschstreifen Geräusche zu hören.
Einbildung? Windrascheln? Es ging kein Lüftchen.
»Lilly, lass uns gehen.«
»Die Kerzen sind noch nicht abgebrannt.«
»Bitte.«
»Hää, was hast du denn jetzt?« Lilly kramte nach ihren Zigaretten, nahm eine heraus und legte die Schachtel neben sich auf die Stufe. »Erst rauch ich noch eine.«
Tatjana seufzte. Ihre Freundin war stur. Es konnte passieren, dass sie die ganze Nacht hier verbringen wollte.
»Ich geh jetzt aber. Es wird bald dunkel.«
»Na und?«
»Du bist doch sonst auch so ’n Angsthäschen«, beschwerte sich Tatjana. »Im Winter abends immer von derBushaltestelle nach Hause rennen, bloß nicht den dunklen Weg nehmen, dauernd die Tür abschließen und so weiter.«
Lilly ließ ihr Feuerzeug aufflammen. »Heute Abend ist mir alles egal. Ich bin traurig, ich bin am Ende. Verstehst du das mit Jan-Olli?«
Tatjana verstand eher den Trainer als ihre Freundin, hütete sich aber, das zu sagen.
»Komm, wir gehen zu mir und chillen. Meine Eltern sind nicht da, die sind die Woche auf Ibiza. Wir fragen meine Schwester, ob sie einen guten Film auf DVD für uns hat.«
»Lass mich erst aufrauchen.«
Tatjana trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Mit jedem Blick kontrollierte sie die Umgebung. Wenn sie so was wie Instinkt besaß, sagte der ihr jetzt, dass sie nicht allein waren.
»Was hat eigentlich die Polizei vorhin noch zu dir gesagt?«
»Nicht viel.« Lilly zuckte die Achseln. »Die wollten eigentlich alles nur noch mal wissen, wie Sven so war, wer ihn nicht mochte und so. Ich musste ihnen erzählen, wie er Paul fertiggemacht hat. Und das hat mich total aufgeregt, glaubst du?« Sie äffte die Stimme der Kommissarin nach: »Das war dann aber eine schwierige Situation für deinen Freund Paul, dass du wieder so ein enges Verhältnis mit seinem Peiniger hattest.«
»Glaubt die, dass es Paul war?«, fragte Tatjana.
»Nein, jetzt nicht mehr. Während wir sprachen, hat die Steiger eine Nachricht gekriegt. Der Lokführer hat endlich seine Aussage gemacht.«
»Und?«
»Es war nicht Paul und auch sonst keiner von uns. Es war ein Penner.«
»Wie bitte?« Tatjana sackten die Beine weg.
Lilly sah sie erstaunt an. »Was ist denn mit dir los?«
Tatjana hockte sich auf die Stufen, ganz dicht neben ihre Freundin. Ihr Atem ging stoßweise. Ihre Hände klammerten sich an Lillys.
»War es wirklich ein ...«
»Ja. Hier wimmelt es ja nur so von diesen Typen. Mich hat heute auch einer extrem genervt. Aber ... hey, das ist doch gut.« Lilly drückte ihre Zigarette aus und umarmte Tatjana. »Wenigstens war’s keiner von uns.«
»Nein. Das ... das ist überhaupt nicht gut. Der Mann, den die Jungs auf der Abschlussfahrt zusammengetreten haben, der ...«
Leise und gepresst begann Tatjana die Geschichte zu erzählen, die Lilly sich schon zum Teil zusammengereimt hatte. Sie war noch nicht fertig, als Lilly sie unterbrach: »Ihr habt Paul auf den draufgeworfen? Das ist heftig. Deshalb war er voll Blut. Der Arme ...«
»Denkst du wieder nur an ihn?« Tatjana drehte sich brüsk weg und putzte sich die Nase. »Glaubst du, er ist ein besserer Mensch? Am Ende hat er, dein Paul ...«
In dem Moment sah sie eine Bewegung. Lief da nicht eine Gestalt über die Wiese? Sah die nicht aus wie ein ... ein Penner? Tatjana wusste nicht, ob sie vielleicht am Durchdrehen war. Sie quiekte vor Schreck. »Lilly, ich hab Angst.«
»Hääää?«
»Raffst du’s nicht?«, rief Tatjana. »Ich hab Angst!«
Widerspenstig ließ Lilly sich auf die Füße ziehen. Tatjana rannte los. Sportlich war sie nicht gut drauf, ihr Gesicht brannte, sie bekam Seitenstechen, keuchte und konnte bald nicht mehr. Trotzdem rannte sie weiter. Lilly, deren Hand sie eisern festhielt, stolperte hinterher und schimpfte, als sie gegen eine leere Blechdose trat.
Erst als die beiden die beleuchtete Zufahrtsstraße erreichten, verlangsamte Tatjana ihre Schritte, blieb stehen, rang nach Atem – und fing an zu schreien.
39
Leon hatte sich im Andenken an Sven schon zwei Bier genehmigt. Seine Idee fand
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