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Die Angst der Boesen

Die Angst der Boesen

Titel: Die Angst der Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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alles kaputt zu machen. Die Sanitäter beugten sich über ihn, aber Ilkays Augen schlossen sich. Er konnte nur an eins denken: Er lag da wie Martin, der Penner, Martin, der junge Mann, Martin, ein Mensch, kaum älter als er, kaum anders, kaum ärmer, reicher, kaum schlauer, dümmer.
    Um Ilkay kümmerte man sich, Martin war allein gewesen. Ilkay lag flach und ausgestreckt, Martin hatte wegen der Enge gekrümmt liegen müssen. Aber beiden wargemeinsam, dass ihnen der Schmerz langsam die Sinne raubte. Mit letzter Anstrengung gingen die Augen noch mal auf: Nacht, Wolken, Sterne.
    Dann verschwand der Himmel.
47
    Tatjana saß mit geschwollenen Augen, trockenen Lippen und einem wattigem Gefühl im Kopf auf der Rückbank des Polizeiwagens.
    Auf dem Schulhof war sie relativ gefasst gewesen, hatte funktioniert und den Polizisten nicht nur ihre Namen angegeben und den Verlauf des Abends beschrieben, sondern auch von ihren Befürchtungen über den Hintergrund der Tat berichtet.
    Im Unklaren darüber, ob Leon überleben würde, das Geräusch der Sirene noch im Ohr, die blutigen Hände vor sich, die völlig verstört weinende Lilly halb im Arm, hatte sie alles erzählt, was sie wusste. Die ganze hässliche Geschichte von der Abschlussfahrt hatte sie den Kripobeamten berichtet, die bald dazugekommen waren – von Anfang bis Ende ohne Beschönigungen und Lücken, und auch alles, was nachher passiert war. Nicht einmal, dass Fotos aus der Schule verschwunden waren, hatte sie ausgelassen.
    Als Lilly vom Verfrachten des Obdachlosen in die Mülltonne gehört hatte, war sie noch mal richtig ausgetickt. Daher hatte Frau Steiger vorgeschlagen, dass ein Streifenwagen die erschöpften Mädchen zum Krankenhaus brachte. Lilly war so aufgebracht, dass sie unbedingt jetzt sofort, noch während der Fahrt im Polizeiwagen, Paul am Telefon eine Szene machen musste.
    »Warum hast du mir das nicht gesagt? Warum hast dunichts getan? Warum bist du nicht in der Nacht noch mal hingelaufen, hast keinen Krankenwagen gerufen? Wir hätten das doch zusammen machen können, als wir in unserem Extrazimmer waren. Wie konntest du seelenruhig neben mir schlafen, während der Verletzte in einem Müllcontainer eingesperrt war? Was bist du bloß für ein Mensch, Paul? Ich dachte, ich kenne dich! Jetzt ist dieser Mann tot und Sven auch, und wir wissen nicht, ob Leon durchkommt und ...«
    Obwohl Tatjana den Kopf abwesend an die Fensterscheibe gelehnt hatte, bekam sie mit, wie Paul auf Lilly einredete und erfolglos versuchte, sein Verhalten zu erklären.
    »Ja, komm her, komm auch ins Krankenhaus«, zischte sie schließlich. »Vielleicht kapier ich dann, was du dazu zu sagen hast.«
    »Paul Brinker sollte besser nicht allein das Haus verlassen«, riet der Beamte. Er drehte sich vom Vordersitz zu ihnen um und wiederholte: »Sag ihm das bitte.«
    »Du sollst doch zu Hause bleiben, sagt die Polizei«, knurrte Lilly, »oder« – und jetzt klang ihre Stimme wirklich fies – »komm mit deiner Mama.«
    Normalerweise hätte Tatjana über solch eine Bemerkung gelächelt. Dazu hatte sie jetzt keine Kraft.
    Lilly versank genau wie sie selbst in Schweigen, bis das Auto in die Auffahrt zum Krankenhaus einbog. Dort sahen sie, wie Leons Vater und Lillys Mutter auf den hell erleuchteten Eingang zuliefen und durch die Glastüren ins Innere stürzten.
    »Und wenn Leon es nicht schafft«, hauchte Tatjana und spürte, wie ihr wieder Tränen in die Augen schossen.
    Kleinlaut nahm Lilly ihre Hand.
    Der Wagen hielt, doch sie stiegen nicht aus. Mitleidig drehte der Polizist sich zu ihnen um und versuchte sie aufzumuntern: »Ihr habt getan, was ihr konntet.«
    »Gar nichts haben wir getan«, flüsterte Lilly. »Ich hab seine Schreie nicht gehört, und wie man Erste Hilfe leistet, wusste ich auch nicht.«
    Darauf fiel dem Beamten nichts ein. Stumm stiegen sie aus und gingen auf den Eingang zu.
    Im Foyer trafen sie überraschenderweise Levent und Frau Hoffmann.
    Bei der Nachricht, was gerade eben mit Ilkay passiert war, fragte Tatjana ein paarmal hintereinander: »Ilkay auch? Sven, Leon, Ilkay ... das, das heißt doch ...«
    Plötzlich hatte sie eine so dermaßen große Angst, dass sie glaubte, keinen Schritt mehr gehen zu können. Ihre Beine gaben unter ihr nach und das wenige, was sie gegessen hatte, wollte schleunigst aus ihrem Körper heraus. Ihre Hände griffen nach Lilly und der Lehrerin. Mit Mühe flüsterte sie: »Der bringt uns alle um, uns alle.« Sie wandte sich an den Polizisten:

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