Die Angst der Boesen
Levent und den Polizisten zu. Levent schien sich überhaupt nicht zu wundern, dass sie da war. Im gleichen Tonfall, wie er in der Schule seinen Standardsatz »Ich hab doch jetzt gar nichts gemacht« von sich gab, sagte er: »Das war kein Unfall, Frau Hoffmann, das war kein Unfall.«
Der Polizist nickte ihr zu und hoffte wohl, dass sie sich jetzt um den geschockten Teenager kümmern würde. »Wir werden das untersuchen, Junge.«
»Er ist bedroht worden und er war nicht der Erste. Einer ist schon tot. Und der Mörder wird weitermachen. Er hat das angekündigt.«
Silke erstarrte, aber der Polizist schien wenig auf Levents Worte zu geben, denn er griff unmittelbar nach seinem Handy, das laut schrillte.
Während er telefonierte, zeigte sie auf das Fast-Food-Restaurant. »Ich war zufällig dort drüben. Sag mir, was passiert ist, Levent.«
»Ilkay ist niedergemäht worden, einfach umgefahren. Von so ’nem Irren. Von dem gleichen, der Sven umgebracht hat.«
»Wie? Woher weißt du denn das?«
»Ilkay hat mich angerufen. Ich sollte herkommen, ihm helfen, ihn beschützen. Er hat schon gedacht, dass das ’ne Falle ist. Leon hat ihn hierherbestellt, angeblich ...«
»Leon Kaulmann?«, fragte der Polizist dazwischen.
»Leon, ja. Der ist bei uns in der Klasse. Genau wie Sven Lange ...«
Der Polizist bekam auf einmal einen sehr konzentriertenGesichtsausdruck und sprach aufgeregt in sein Handy. Obwohl er sich ein paar Schritte entfernte, konnte Silke hören, was er sagte.
Sie spürte, wie sich ihre Nackenhärchen aufstellten. Leon, Ilkay und Sven – alle aus ihrer Klasse.
Welche Namen hatte sie vorgestern Martin gegenüber genannt?
Sie versuchte sich zu erinnern, aber was gerade noch so einfach und selbstverständlich abgelaufen war, ließ sich auf einmal schwierig an. Ihr wurde flau und sie fühlte sich plötzlich so schwach, dass sie nach Luft schnappen, sich an Levents Schulter festhalten und in ihrer hellen Hose auf den schmutzigen Asphalt setzen musste.
Mit der Erinnerung an ihre eigenen Worte kam die Erkenntnis, dass sie einen furchtbaren Fehler gemacht hatte.
»Schwierige Schüler, Martin, du stellst Fragen. Einer heißt Sven.«
»Ja, okay, Sven, geschenkt.«
Als ob er den Namen schon kannte.
»Und die anderen?«
»Das ist doch schon ein Name.«
Sie hatte mit diesem merkwürdigen Frage-Antwort-Spiel aufhören wollen. Es gab schließlich Datenschutz.
»Die anderen. Seine Freunde. Na, sag schon!«
Wie ungeduldig er geklungen hatte.
»Leon ...«
Zögerlich ihre Antwort. Fordernd seine Frage, geradezu roh: »Nur Deutsche? Kannst du mir nicht erzählen. Du hast doch bestimmt jede Menge schwieriger Türken und Araber.«
»Schon. Auch. Cem und Zineddine strapazieren manchmal ganz schön meine Nerven.«
Sie hatte nervös gelacht und versucht, das anwachsende ungute Gefühl im Bauch zu verdrängen. »Ich weiß gar nicht,wann ich Zineddine das letzte Mal gesehen hab, so oft wie der blaumacht. Ilkay ist eigentlich noch ein großes Kind, der meint’s nicht so, genau wie Levent.«
»Und die Mädchen?«
»Ach, jetzt hör auf! Die Mädchen sind alle nett.«
»So wie du.«
»Ja. Danke für das Kompliment.«
Damit war das unerfreuliche Thema beendet gewesen und Martin hatte wieder seine nette Seite gezeigt. Ihr Herzschlag hatte sich normalisiert, ihr Argwohn war fürs Erste abgeklungen.
Er wolle nur gut vorbereitet sein, hatte er ihr noch erklärt, und als sie daraufhin gesagt hatte, dass ihre 10 a im nächsten Jahr sowieso nicht mehr da sein werde, hatte er gar nicht mehr hingehört.
Und sogar den Namen des »bösesten« Mädchens hatte er von ihr erfahren, indirekt. Als Martin sie nämlich ins Schulgebäude begleitet hatte, war ihnen Lilly auf der Zufahrtsstraße entgegenkommen, eindeutig im Begriff, mal wieder zu schwänzen. Silke lag etwas an Lilly, daher war sie stehen geblieben und hatte sie angesprochen.
Sie habe ein Vorstellungsgespräch, hatte Lilly behauptet.
»Wo und bei wem denn bitte?«, hatte Silke gefragt. »Soweit ich weiß, hast du es noch nicht geschafft, eine einzige Bewerbung zu schreiben. Du ruinierst dir deine Zukunft und ich bin auch nicht mehr lange für euch da, ich kann dir bald nicht mehr helfen ...«
»Ich brauche Ihre Hilfe nicht, Frau Hoffmann.« Lilly war laut geworden.
Zwar hatte Silke gleich gemerkt, dass es ihrer eigenwilligen Schülerin schon überhaupt nicht passte, vor einem Fremden kritisiert zu werden, aber sie hatte, weil sie auch vor Martin ihre
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