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Die Angst der Boesen

Die Angst der Boesen

Titel: Die Angst der Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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umdrehte und leise jammerte.
    »Ich reg mich nicht auf, ich sag nur, was gesagt werden muss.«
    »Das ist nicht der Zeitpunkt für Diskussionen, Lilly. Ich zum Beispiel mache mir Vorwürfe, dass ich nicht auf Ilkay aufgepasst habe. Den ganzen Nachmittag habe ich versucht, ihn abzulenken und aufzuheitern. Verdammt, wie soll ich denn ernsthaft mit einem Killer rechnen?«
    Lilly seufzte und schwieg. Was passiert war, klang immer noch abstrus und irreal. Als ob es nur ein schlechter Traum wäre. Aber die Wirklichkeit war manchmal hässlicher als Albträume, das wusste Lilly nur zu gut.
    Eingehüllt in eine Wolke Parfüm, betrat Leons leibliche Mutter, Georgs Exfrau, den Raum. Lilly sah sie zum ersten Mal und musterte sie kurz: eine weitere müde, besorgte Person. Georg erstattete ihr knapp einen Lagebericht. Das Gespräch der Yilmaz verebbte. Auch die anderen schwiegen, hörten Georg zu. »Jetzt heißt’s hoffen und Daumen drücken, dass die Jungs das packen«, beendete er seine Zusammenfassung. Danach sagte keiner mehr was. Traurig und erschöpft glotzten alle Anwesenden vor sich hin.
    Eigentlich war das gut, fand Lilly. Für kurze Zeit vereinten Sorge, Hoffnung und Müdigkeit alle im Warteraum. Man warf sich verständnisvolle Blicke zu, reichte sich Taschentücher, lehnte den Kopf an die Schulter des Nachbarn, respektierte den Wunsch des anderen, nur schweigend dazusitzen.
    Doch Frau Hoffmann musste natürlich aus der Reihe tanzen.
    Zuerst raufte sich die Lehrerin nur demonstrativ die Haare. Ihr Gesicht war dabei so rot-weiß gefleckt, wie es im Unterricht auch oft war, wenn ihr niemand zuhörte. Es fehlten nur die Kreidespuren auf Haut und Kleidung. Vor lauter Stress malte sie sich beim Reden und Gestikulieren immer an, ohne es zu merken.
    »Ich verstehe das nicht«, murmelte sie gut hörbar vor sich hin. »Warum überfallen meine Schüler einen armen, wehrlosen Mann? Wie können sie so etwas tun?«
    Jetzt geht die Sülzerei wieder los, dachte Lilly. Es brodelte schon in ihr, aber bevor sie etwas sagen konnte, fauchte Leons Vater die Hoffmann an: »Sie verwechseln hier Opferund Täter. Jemand hat Sven ermordet, Ilkay überfahren und Leon abgestochen. Unsere Söhne ringen mit dem Tod. Jeden Moment kann für uns hier die Welt zusammenbrechen. Geht das nicht in Ihren Schädel, Frau Pädagogin? Es ist doch ganz klar, wer hier der irre Gewalttäter ist. Außerdem stellt sich mir die Frage, was Sie an dem Abend auf dieser Klassenfahrt gemacht haben. Keiner Ihrer Schüler ist volljährig. Sie hatten die Aufsichtspflicht, Frau Hoffmann. Sie tragen die Verantwortung. Ich frage mich, was haben Sie gemacht?«
    Jetzt, dachte Lilly, das ist die Gelegenheit zur Revanche. »Es gibt da ein schönes Foto von Levent und seinen Lieblingsfrauen. Ich hab’s mir auf mein Handy überspielen lassen. Soll ich mal schauen, ob ich’s gleich finde ...?« Sie grinste.
    »Nein, hör auf. Du bist so ein Biest.« Frau Hoffmann kapitulierte mit Tränen in den Augen. Sie stand auf, sah Lilly vorwurfsvoll an und ging. Keiner hielt sie auf. Nur Leons leibliche Mutter sagte beiläufig: »Sie ist doch eigentlich sehr engagiert, Georg.«
    »Halt die Schnauze, Mandy«, fuhr er sie an. »Das Kind lebt nicht bei dir und deinem Spacko. Leon wollte zu mir. Ich kümmer mich um ihn. Also halt du dich raus.«
    Leons Mutter schwieg betreten. Lillys eigene Mutter konnte sich ein hämisches Grinsen nicht verkneifen. Laut seufzte sie und versuchte dann, Lilly in den Arm zu nehmen, wurde aber sofort weggeschubst, worüber sich wiederum Leons Mutter freute.
    Die Yilmaz tauschten einen wissenden Blick. So etwas gab es bei ihnen nicht. Dafür habt ihr andere Probleme, dachte Lilly brummig, und euer Sohn kämpft auch um sein Leben.
    Zehn Minuten später kam Frau Hoffmann schon wieder zurück, in Begleitung von Kommissarin Steiger. Die Ermittlerin wirkte im Gegensatz zu heute Vormittag ernst und angespannt und Frau Hoffmann sah man an, dass sie gerade geweint hatte. Mit hängenden Schultern setzte sich die Lehrerin auf einen der letzten freien Plätze, weit weg von den Familien.
    Obwohl Lilly zu gern wissen wollte, was mit der Hoffmann los war, gab es in der nächsten halben Stunde Wichtigeres, denn die Kopie eines Blattes, das man bei Ilkay gefunden hatte, machte die Runde.
    Die Kopie war verschwommen und für Lilly war die Szenerie nicht gleich zu identifizieren, aber der Text und das Foto des kerzengeschmückten Grabsteins jagten ihr eine Gänsehaut über den Rücken.

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