Die Angst der Boesen
darauf, dass er fuhr und Lilly hinten saß, aber immerhin: Er hatte keine Skrupel, Gas zu geben, und Lillys Mutter, die drohte, die Polizei zu rufen, einfach stehen zu lassen. Außerdem gab es Lilly ein gutes Gefühl, die Arme um ihn zu schlingen, während sie über Schleichwege zu Pauls Haus knatterten.
Das Moped war zwar nicht das schnellste Verkehrsmittel, aber es erfüllte seinen Zweck. Nach nur fünf Minuten bogen sie in die gut befahrene Parallelstraße zur Schulstraße ein.
Vor Pauls Haus stand ein Streifenwagen. Levent lenkte das Moped vor ihm auf den Bürgersteig, sodass Lilly vom Sozius direkt ins Küchenfenster sehen konnte. Sonja Brinker stand mit den Händen vorm Mund hinter der Scheibe und blickte starr auf die Angekommenen. Die Beamten waren offenbar noch in Pauls Zimmer.
Grüßend hob Lilly die Hand, aber die Frau schien sie wegen des Helms nicht zu erkennen oder wurde von ihrer Angst gelähmt. Lilly wollte gerade den Helm abstreifen, da fuhr ein älteres, verbeultes Auto an ihr vorbei, steuerte erst die Hofeinfahrt an, drehte dann aber um.
Neben der unentschlossenen Fahrweise fiel Lilly zuerst die Sonnenbrille auf, die auf dem Armaturenbrett lag.
Der Fahrer war um die vierzig. Er schien sie nicht gesehen zu haben. Jetzt blinkte er wieder links in die Richtung, aus der er gekommen war, und wandte ihr den Kopf zu, um eine Lücke im Verkehr zu erhaschen.
Doch aus der Innenstadt kamen gleich drei Autos hintereinander, genug Gelegenheit für Lilly, sich sein Gesicht anzusehen. Ihr Herz begann zu rasen. Als sie merkte, dass Levent absteigen wollte, schnellten ihre Arme vor und hielten ihn fest.
»Was?«, rief Levent.
»Der«, presste sie hervor, »der ist es.«
Der Fahrer konnte sich in den Verkehr einfädeln. Er lenkte den Wagen auf die andere Straßenseite, beschleunigte aber noch nicht, sondern blickte misstrauisch zurück auf das Pärchen mit dem Moped.
Diese letzte Bestätigung hätte Lilly gar nicht gebraucht. Sie war sich sicher. Das war der Typ, der die Hoffmann auf dem Schulhof begleitet hatte, und es war der gleiche Mann, der sich als Penner getarnt und Lilly in der Beach Bar belästigt hatte. War er etwa Brinkers neuer Mieter? Wenn ja, wardie Wohnung perfekt gewählt: Näher an der Schule ging’s kaum.
Statt die Polizei einzuschalten, rief sie: »Fahr ihm nach, Levent!«
Der zögerte nicht, dachte auch nicht daran, zuerst zu telefonieren. Levent holte alles aus der Kiste raus, nahm die Kurven eng und bremste abrupt vor einer roten Ampel.
Mit Schmackes rutschte Lilly gegen ihn. Es fehlte nicht viel und sie wären beide über den Lenker gegangen.
»Scheiß Rot«, fluchte Lilly, »der entwischt uns.«
Levent drehte den Kopf über die Schulter. »Ich kann ihm nicht nach. Zu viel Verkehr. Aber, warte, da ... die Lücke ...«
Levent brauste los, über die Kreuzung und die Ringstraße runter Richtung Außenbezirke.
»Ich seh ihn nicht mehr.« Seine Stimme war unter dem Helm kaum zu verstehen.
»Fahr weiter!« Lilly verrenkte sich den Hals, warf Blicke in die Nebenstraßen, zog einmal mit einem Aufschrei den Kopf zurück, als ein Lastwagen nah an ihr vorbeidonnerte und hupte.
Wo war das verdammte Auto? Wo?
Levent fuhr langsamer. Er verließ die Hauptstraße an der abknickenden Vorfahrt und fuhr gerade weiter in die Sackgasse, die am Stadtwald endete. Dort stoppte er, direkt vor dem Bordstein, hinter dem die ersten Buchen standen.
Der Motor ging aus und für einen Moment hörte Lilly nur ihre eigenen Atemzüge und, als sie sich den Helm abstreifte, das Zwitschern der Vögel.
»Wir haben ihn verloren«, sagte Levent enttäuscht.
»Wenn du dich hier verstecken wolltest«, überlegte Lilly laut, »wohin würdest du gehen?«
»Ich hab mich noch nie versteckt.«
»Aber wenn«, drängte sie, und als er sie ratlos ansah,zeigte sie auf den Wald vor ihnen. »Was hältst du vom alten Freibad?«
Levent dachte einen Moment nach. Dann startete er die Maschine.
»Warte.« Sie ergriff seinen Arm, plötzlich entsetzt von dem, was sie vorhatten. »Du weißt, das ist verdammt gefährlich.«
»Wir gucken erst mal nur.«
»Okay. Machen wir’s so.«
Trotz ihrer Angst wollte sie, dass Levent die Tachonadel wieder hochjagte. Sie wollte, dass er zwei Minuten später an dem verrotteten Schild Städt. Freibad, 1 km abbremste und in den schmalen Zufahrtsweg bog. Sie war enttäuscht von Paul, aber das beeinflusste ihre Entscheidung nicht. Er war immer noch ihr Freund. Auf jeden Fall wollte sie ihn
Weitere Kostenlose Bücher