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Die Angst der Boesen

Die Angst der Boesen

Titel: Die Angst der Boesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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Kabelbinder war zäh und das Rohr von der Wand einfach abzureißen gelang auch nicht. So altersschwach es aussah, es hielt Pauls verzweifelten Versuchen stand.
    Wieder stemmte er seine Beine gegen die Wand. Wieder versuchte er zu ignorieren, dass die Fessel in seine Handgelenke schnitt, sein Schädel hämmerte und sein Ellbogen in seinem eigenen Erbrochenen ausrutschte. Er musste sich befreien, durfte nicht zimperlich sein. Auch wenn Nolte Paul für unschuldig hielt und ihm heute Nacht noch einmal ausdrücklich versprochen hatte, ihn am Leben zu lassen, konnte er ihm auf keinen Fall trauen.
    Waren da Schritte auf der Treppe zu hören?
    Bitte nicht. Er wusste, dass Nolte sich jetzt nicht mehr bei ihnen, sondern im alten Freibad versteckte. Der Killer wurde bereits gejagt. Das hieß: Er würde ihm sicher kein Frühstück bringen.
    Paul drehte den Kopf zu schnell. Der dunkle, feuchte Raum begann vor seinen Augen zu verschwimmen.
    Nolte war wieder da. Er hatte die Tür zu den Becken aufgestoßen, ihr Metallflügel schlug gegen die Kacheln. Gleißendes Sonnenlicht strömte herein. Jetzt trat er durch die Öffnung. Er war nicht allein, hatte noch zwei Menschen mitgebracht.
    Lilly war gefesselt wie er, konnte aber laufen. Sie riss sich von Nolte los und stürzte auf ihn zu.
    »Paul«, rief sie und drückte sich an ihn. »Wie geht’s dir?«
    Ihre Stimme klang dünn und kieksig. Ihre Backen waren blutig zerkratzt und nass von Tränen, mit ihren Knien hockte sie in seinem Erbrochenen. Aber sie ignorierte es, tastete mit den Händen über sein Gesicht und drückte sich an ihn, noch schlimmer schlotternd als damals, als sie im Winter bis zur Hüfte in den noch nicht ganz zugefrorenen Ententeich eingebrochen war.
    Levent dagegen sah richtig fertig aus. Als Nolte ihn losließ, sackte er in sich zusammen und fiel auf den Boden, die Hände um sein verletztes Bein geschlungen.
    Obwohl Levent nie sein Freund gewesen war, brachte sein Anblick Paul dazu, Nolte anzubrüllen: »Wollen Sie uns alle umbringen? Sind Sie völlig irre?«
    Nolte machte ein kurzes, trockenes Geräusch, wie wenn man einen Käfer zertritt. »Nicht die ganze Klasse, Paul. So viel Zeit habe ich nicht mehr. Dazu habe ich ja auch kein Recht. Aber die fünf, die Unrecht getan haben, müssen bestraft werden. Und du hilfst mir jetzt herauszufinden, wer diese fünf sind.«
    Lilly gab einen Schluchzer von sich. »Ich hab’s Ihnen doch schon gesagt, wir drei haben nichts damit ...«
    »Dich habe ich nicht gefragt«, schrie Nolte sie an. »Ich weiß, dass du dazugehörst. Du bist das einzige Mädchen, das infrage kommt. Du bist die Freundin von Sven Lange und die Schwester von Leon. Du siehst aus wie Marie, du bist genau wie sie. Du gehörst zu den Bösen.«
    Lillys Finger krallten sich so in Pauls Unterarm, dass es schmerzte.
    »Paul, ich frage dich jetzt nur ein Mal. Denk dran, du bist hier Zeuge in einem Mordprozess. Wenn du lügst, wird das Folgen haben. Du stehst hier vor Gericht. Also sag die Wahrheit: Ist der da dabei gewesen? Ist der Türke hier die Nummer fünf?«
    Paul war plötzlich derart schwindelig, dass er Nolte vorund zurückwippen sah. Er sah ihn größer und wieder kleiner werden, sah ihn auf sich zukommen und alles Licht verschwinden.
    »Mach den Mund auf!«, brüllte er.
    Lilly jaulte und drängte sich so dicht an ihn, als wollte sie in seinen Körper hineinkriechen.
    »Ist er’s, Paul? Gehört der hier dazu? Ist er der, den ich suche? Habe ich die fünf dann zusammen?«
    »Nein«, flüsterte Paul.
    »Was?«
    »Nein!«
    »Wer dann? Zum Teufel, wer dann?«
    »Das weiß ich nicht. Ich weiß es nicht.« Paul konnte nicht gut lügen und log doch um sein Leben. »Ich – weiß – es – nicht«, sagte er abgehackt. »Ich ... ich hab Levent den ganzen Abend in der Jugendherberge gesehen. Er hatte ein verletztes Bein, er war nicht mit den anderen weg. Er ist definitiv nicht dabei gewesen, aber ich weiß auch nicht, wer sonst dabei war. Es war ja eine große Gruppe, die losgezogen ist, zehn Leute oder so.«
    »Du Feigling«, schimpfte Nolte voller Verachtung. »Du wirst immer ein Opfer sein, Paul Brinker.« Er trat vor, spuckte auf Paul herab und packte Lillys Arm. »Noch sind die Bullen nicht hier. Noch hab ich Zeit. Eins nach dem anderen.«
    Lilly schrie wie am Spieß, als Nolte sie aus dem Duschraum schleifte. An der Tür griff sie mit den gefesselten Händen nach der Klinke, um sich festzuhalten, aber Nolte war stärker als sie, er konnte das Mädchen

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