Die Angst der Boesen
Lilly, drehte sich um, stellte den Puddingbecher samt Löffel in die Spüle und sah ihn aufmerksam an.
»Gar nichts könnt ihr machen«, sagte Tatjana. »Wir sind keine Ermittler und die Sache ist viel zu gefährlich. Da können wir selbst gar nichts machen. Wir müssen zu Hause bleiben, wie die Polizei gesagt hat. Du bist total leichtsinnig, wenn du einfach so allein durch die Stadt rennst, Levent.«
»Ach ja?« Levent sah Tatjana derart böse an, dass sie auf ihrem Stuhl zurückwich. » Warum muss ich denn so vorsichtig sein, he? Wer hat mir die Scheiße denn eingebrockt? Du und Paul.«
»Und Ilkay und Sven und Leon«, protestierte Tatjana.
»Ja, aber die sind tot oder Matsche!« Levent war laut geworden und vom Tisch aufgestanden. »Ihr beide seid noch da, ihr beide lasst’s euch gut gehen, schließt euch in euren Kinderzimmern ein und krault euch die Eier.«
»Ich hab doch –«
»Halt’s Maul, Tatjana. Deinetwegen ist Lilly in Gefahr. Und wegen der Schwuchtel muss ich jetzt ständig über die Schulter gucken, ob mir nicht einer folgt. Weißt du, wie ich mich gefühlt hab, als ich hierhergekommen bin? Wie ein Verbrecher, wie ein Gejagter.«
Levent tigerte unruhig im Raum auf und ab. »Der Killer wird auf jeden Fall rausfinden wollen, wer noch dabei war. Deshalb wird er uns im Gegensatz zu den andern nichtgleich kaltmachen. Er wird uns vielleicht irgendwo festsetzen, befragen und ...«
Lilly war bleich geworden, sah mit aufgerissenen Augen Levent an, der nicht weitersprechen konnte.
Wieder kamen Tatjana die Tränen. Voller Schuldgefühle sagte sie:
»Tut mir so verdammt leid, dass ihr da mit reingezogen wurdet. Aber ich kann doch nichts dafür, ich hab ihm doch eure Namen nicht gesagt. Und ich hab auch nur dabeigestanden, die Jungs haben ...«
»Deine Flennerei nützt uns gar nichts«, fuhr Levent sie an. »Sag das dem Täter, nicht uns. Ja, sag es dem Täter! Nur so tust du ein Mal was Gutes, stehst du ein Mal nicht nur dabei. Vielleicht kannst du sogar Leben retten.«
»Damit er mich dann ...?«, heulte Tatjana.
»Du kannst dich ja dann auch in deinem Kinderzimmer einschließen – wie wir jetzt.«
»Du bist gemein.« Tatjana warf Lilly einen Hilfe suchenden Blick zu, aber die reagierte nicht. Levents Worte hatten offenbar gewirkt. Lilly hatte Angst, das konnte man deutlich sehen. Verzweifelt schlug Tatjana die Hände vors Gesicht. »Ihr könnt mich doch nicht zwingen, mich auszuliefern«, jammerte sie.
Endlich legte Lilly ihr die Hand auf die Schulter. »Keiner will, dass du dich auslieferst. Aber Levent hat recht. Leons Mörder wird uns auch angreifen. Wenn er kann, wird er mich umbringen, und letztendlich nur, weil ...«
»Nein«, schrie Tatjana, sprang auf und stürzte aus der Küche in den Flur. Dort stieß sie mit Carola zusammen, die den Telefonhörer in der Hand hielt.
»Bei uns ist er nicht«, sagte sie gerade. Dann wandte sie sich an die Jugendlichen. »Hört ihr nichts? Telefon. Für dich, Lilly. Die Mutter von Paul. Sie sagt, der ist verschwunden.«
53
Lilly schnappte nach Luft. Nicht auch das noch, nicht auch noch Paul.
Sie hatte Mühe, Sonja Brinker zu verstehen. Die Frau war extrem aufgeregt und verhaspelte sich beim Sprechen. Außerdem traten Levent und Tatjana Lilly fast auf die Füße, um mitzuhören, welche Neuigkeiten Pauls Mutter für sie hatte. Auf die Idee, den Lautsprecher einzuschalten, kam Lilly erst, als Levent es ihr am Telefon vormachte.
Frau Brinker hatte offenbar zunächst angenommen, ihr Sohn schlafe friedlich in seinem Bett. Sie hatte sich geduscht, mit ihrem Mann telefoniert, das Frühstück vorbereitet und erst nach Paul gesehen, als vor einer Viertelstunde Kommissarin Steiger angerufen hatte, um ihr noch einmal ausdrücklich zu sagen, dass ihr Sohn auf gar keinen Fall aus dem Haus gehen solle. Erst da war sie mit dem Telefon in der Hand in Pauls Zimmer gegangen und hatte das Bett leer vorgefunden.
»Sein Fahrrad steht nicht mehr im Keller«, sagte sie. »Er muss entweder noch spät gestern Abend oder heute früh losgefahren sein. Ich kann mir nur vorstellen, dass er zu dir wollte, Lilly. Weil dein Bruder doch im Krankenhaus ist.«
Lilly würgte die aufsteigenden Tränen hinunter. Dein Bruder im Krankenhaus. Schön wär’s.
Es wäre so schön, wenn Leon dort noch atmend in einem weichen Bett läge und gerade sein Frühstückstablett aufs Nachttischchen gestellt bekäme.
»Wenn Paul nicht bei dir ist, wo ist er denn dann? Ob ich mal in der Klinik
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