Die Angst der Boesen
anrufe?«
Anscheinend hatte die Polizei ihr noch nicht gesagt, dass Leon gestorben war. Vielleicht hatte es sich nicht ergebenoder Sonja Brinker hatte es in ihrer Aufregung überhört. Vielleicht wollte die Kommissarin sie auch nicht noch mehr beunruhigen. Lilly stellte sich die Panik vor, die die Frau bekommen würde, wenn sie erfuhr, dass zwei Jungen ermordet worden waren und einer schwer verletzt und dass Paul ...
»Wo kann er denn sonst nur sein? Er erwartet doch heute auch Besuch. Der kommt zwar erst um elf mit dem Zug, aber ...«
»Frau Brinker«, unterbrach Lilly die Mutter ihres besten Freundes. »Machen Sie sich keine Sorgen. Ich komme jetzt vorbei. Ich komme zu Ihnen, okay?«
»Ja, ich ... ich weiß nicht. Ein Polizeibeamter ist in Pauls Zimmer an seinem Computer ... und ein Foto brauchen sie und ...«
»Keine Panik, Frau Brinker«, sagte Lilly und richtete diese Aufforderung gleichzeitig an sich selbst. Sie hätte am liebsten geschrien und mit den Armen um sich geschlagen, wusste aber, dass das nichts brachte.
»Ich komme zu Ihnen, ich bin gleich da. Wir werden Paul finden, ganz sicher.«
Sie legte auf und wurde sofort von Tatjana angegiftet: »Spinnst du? Du willst doch wohl nicht dahin? Du darfst das Haus nicht verlassen.«
»Bei Pauls Mutter bin ich genauso sicher wie hier. Ich will dort sein, damit ich sofort weiß, wenn’s was Neues gibt. Vielleicht kann ich irgendwie helfen ...«
»Nein!« Tatjana schrie. »Wir müssen zusammenbleiben. Frau Rembecker, sagen Sie was, bitte!«
Lillys Mutter stöhnte auf und fuhr sich mit den Händen durchs Gesicht. »Du bleibst hier«, sagte sie müde, »denk an Leon. Paul kann selbst auf sich aufpassen.«
»Kann er eben nicht«, zischte Lilly. »Und wenn ich anLeon denke, dann muss ich zwangsläufig an das denken, was Paul passieren kann.«
»Du bist nicht für die Schwuchtel verantwortlich«, sagte Levent scharf. »Bleib hier!«
»Nein. Es ist heller Tag und ich weiß, wie der Penner aussieht. Den widerlichen, gruseligen Typen erkenne ich auf hundert Meter Entfernung. Ich ...«
»Lilly.« Mit blassem Gesicht trat ihre Mutter zu ihr und ergriff ihre Arme. »Du wirst hierbleiben. Ich lasse nicht zu, dass du gehst. Nachher wirfst du mir wieder vor, ich hätte dich nicht beschützt oder nicht aufgepasst. Diesmal lasse ich mir das nicht sagen.«
»Wenn Lilly dann überhaupt noch was sagen kann«, ereiferte sich Tatjana.
»Eben. Der macht Hackfleisch aus dir. Und wer weiß, was er noch mit dir anstellt, als Mädchen. Du musst hierbleiben. Die Polizei hat’s auch befohlen, du ...« Levent kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden.
Lilly hatte nicht vor, irgendjemanden über sich bestimmen zu lassen. Sie wollte zu Paul, und zwar jetzt. Daher schrie sie so laut und durchdringend, dass alle drei zurückwichen. Eine Sirene war nichts dagegen. Levent hielt sich die Ohren zu, ihre Mutter rief, sie bekäme Kopfschmerzen.
»Dann lasst mich in Ruuuuuuhhe! Ich mache, was ich will!«
Nachdem Lilly sich so Platz verschafft hatte, schnappte sie mit einem Griff ihr Handy und vom Schränkchen neben der Wohnungstür den Schlüssel von Georgs Moped. Dann langte sie nach ihren Turnschuhen, riss die Tür auf und flitzte, die Schuhe in der Hand, auf Socken die Treppen hinunter.
»Lilly«, kreischte ihre Mutter fast ebenso schrill durchs Treppenhaus. Tatjana fing an zu heulen, Levent fluchte –Lilly scherte sich nicht drum. Das hier war ihr Leben. Sie erreichte die Hintertür, schlüpfte schnell in die Schuhe und hastete mit offenen Schnürsenkeln durch den Hof zur Garage, in der das Moped stand.
Zum Glück war das Tor offen. Georg teilte die Garage mit einem anderen Hobbybastler aus dem dritten Stock und der war sonntags früh natürlich schon zugange. Im Nu konnte Lilly einen Helm greifen und die etwas angestaubte Maschine nach draußen schieben.
Nur Levent war ihr gefolgt. Er packte den Lenker mit beiden Händen. »Lass das! Du bist komplett bescheuert.«
»Bist du so was schon mal gefahren? Kannst du ein Moped starten?«
»Klar.«
»Dann hilf mir.«
»Lilly, wir ...«
»Traust du dich nicht?«
»Natürlich trau ich mich.«
»Also, mach hinne! In der Garage ist ein zweiter Helm. Wenn wir Paul finden, finden wir den Mörder. Wenn nicht, werden wir nie vor ihm sicher sein. Willst du das riskieren? Willst du weiter Angst haben und dich einschließen? Willst du dein Leben unter Polizeischutz verbringen müssen?«
Sie hatte ihn überzeugt. Jetzt bestand Levent zwar
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