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Die Angst der Woche

Die Angst der Woche

Titel: Die Angst der Woche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Krämer
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dass es überhaupt zu einem Zwischenfall kommen konnte. Beide Seiten konnten also durch eine entsprechende Interpretation der Information erfolgreich verhindern, dass kognitive Dissonanzen entstanden.«
    Und der nackte Affe hasst kognitive Dissonanzen. Seine Impulse sagen: Biege die Wahrnehmung zurecht, folge der Gruppe, achte auf die anderen, gehe mit der Mehrheit, da hat der Verstand, hat die Vernunft ganz schweres Spiel. Und dieser Sieg des Bauches über den Verstand ist die mit großem Abstand wichtigste Quelle irrationaler Panik überhaupt. Deshalb geht das fünfte Kapitel auf diesen Gesichtspunkt unserer Angstmechanik ganz ausführlich ein.
    Zuvor aber sehen wir uns noch einen weiteren Grund für viele moderne Ängste etwas näher an.
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    Literatur:
    Dan Gardner: Risk , London 2008 (Virgin Books)
    G. Gigerenzer, W. Gaismaier, E. Kurz-Milke, L. Schwartz, S. Woloshin: »Glaub keiner Statistik, die du nicht verstanden hast«, Gehirn und Geist 10/2009, S. 34 – 39
    Michael Siegrist: Die Bedeutung von Vertrauen bei der Wahrnehmung und Bewertung von Risiken, Stuttgart 2001 (Akademie für Technikfolgenabschätzung)

3 Der geheime Grenzwertkrieg
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    Â»Das Aufspüren kleinster Schadstoffmengen hat zur Folge, dass überall alles gefunden wird.«
    Der Spiegel
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    Grenzwerte wie die im letzten Kapitel zitierten 600 Becquerel pro Kilo Rindfleisch sind in erster Linie ein Produkt der Politik; es wird hin- und herverhandelt, gibst du mir dies, dann kriegst du das; die einschlägigen Diskussionen kommen einem wie auf dem Basar vor, die Wissenschaft und erst recht der gesunde Menschenverstand reden hier erst an zweiter Stelle mit. Oder wie sonst ist zu erklären, dass während der Dioxinpanik Anfang 2010 Millionen von Frühstückseiern aus dem Verkehr gezogen wurden, weil sie angeblich mit mehr als 3 Billionstel Gramm (3 Pikogramm) an Dioxin belastet waren (bei den meisten stimmte das noch nicht einmal), während zur gleichen Zeit völlig legal in großen Mengen deutsche Flussaale und Ostseefische auf den Märkten angeboten, gekauft und dann zu Hause auch gegessen wurden, die eine mehr als zehnfach so hohe Dosis Dioxin pro Kilogramm enthielten?
    Auch viele regionale oder trägerspezifische Grenzwertunterschiede sind nur politisch zu erklären. Wird etwa in einer Kölner Schule eine Raumluftkonzentration polychlorierter Biphenyle von 8 μg/m 3 gemessen, müssen die Behörden bauordnungsrechtlich einschreiten und die Schule wegen konkreter Gesundheitsgefahr sanieren. »Steht diese Schule dagegen in München, so sind dort Sanierungsmaßnahmen zur Abwehr einer möglichen Gefahr von Leben und Gesundheit nicht angezeigt« (Risikokommission). Und warum sollen zur Abwehr von Krebsgefahr durch Acrylamid für Backwaren tausendfach höhere Richtwerte gelten als für das Trinkwasser? Dann wieder wurden aufgrund des Seveso-Unfalls die Grenzwerte für Dioxin selektiv sehr niedrig, nahe der Erfassungsgrenze der Analytik, festgelegt; sie betragen derzeit bei Müllverbrennungs- und -verwertungsanlagen 1 Nanogramm (1 Milliardstel Gramm) pro Kilogramm im Boden und 0,1 Nanogramm in der Abluft, mit der Konsequenz, dass inzwischen eine Müllverbrennungsanlage sauberer ist als ein Dieselmotor oder eine Kohleheizung.
    All diese Unterschiede sind rational nicht zu begründen, diese Grenzwerte sind ganz offensichtlich keine Verstandes-, sondern eine Verhandlungssache. Opponieren etwa Mobilfunkgegner in einer Stadt besonders heftig, werden die Vorschriften für Sendemasten dort verschärft. Aber eben nur dort. Und die Fronten bei diesen Verhandlungen sind klar. Die Anbieter bzw. Risikoverursacher hätten die Grenzwerte gern möglichst hoch; das reduziert die Kosten. Die das Risiko ertragen müssen, hätten die Grenzwerte gern möglichst klein. Am besten Grenzwerte von null. Wer Grenzwerte festlege, argumentiert der Oberguru der Null-Risiko-Fraktion, Ulrich Beck, toleriere die Vergiftung unterhalb der Grenzwerte, Grenzwerte seien Persilscheine dafür, so Beck, die Menschheit ohne Strafe zu vergiften. Den Grenzwertfestsetzern ginge es darum, das zulässige Maß an Vergiftung zu definieren, was bedeute, Vergiftung grundsätzlich zuzulassen. »Würde man sich auf den nicht völlig abwegigen Grundsatz einigen, überhaupt nicht zu vergiften, gäbe es

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