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Die Angst der Woche

Die Angst der Woche

Titel: Die Angst der Woche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Krämer
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Kommilitonen bezeugen: Stift A ist der längste. Der Student überlegt (bzw. er überlegt gar nicht, sondern ist nur passives Opfer des folgenden Programms in seinem Kopf): Hier sind haufenweise Leute, genauso intelligent wie ich, die können doch nicht alle unrecht haben, und obwohl seine Augen ganz klar sehen: Stift B ist länger, sagt auch er: Stift A. Wenn alle A für größer halten, dann tut er das ebenfalls.
    Und tatsächlich: Die meisten Probanden taten genau das: Gegen jeden Augenschein, gegen alle Regeln der Vernunft bekannten sie: Stift A ist größer.
    Und was das eigentlich Beängstigende ist: Sie glaubten auch daran! Denn im Ex-post-Rationalisieren von irrationalem Verhalten sind wir geradezu Weltmeister. Der bekannte Neurowissenschaftler Michael Gazzaniga hat das einmal anhand von Patienten, deren linke und rechte Hirnhälfte getrennt worden waren (das passiert zuweilen bei Epilepsiepatienten), empirisch nachgewiesen. Die linke Hälfte ist für das verstandgesteuerte Handeln zuständig, die rechte eher für Gefühle. Gazzaniga sagte zu einem solchen Patienten: »Stehe auf und gehe« (Erinnerungen an das Neue Testament sind erlaubt). Und der Patient stand auf und ging. Dann fragte ihn Gazzaniga: »Warum bist du gerade aufgestanden?«
    Â»Ich will mir eine Cola holen.«
    Oder so ähnlich. Gazzaniga bekam immer eine Antwort. Unsere linke Gehirnhälfte ist enorm erfolgreich, sich Erklärungen für das Tun der rechten Hälfte auszudenken. Und der Besitzer des Gehirns glaubt natürlich dessen linker Hälfte jedes Wort.
    An diese Experimente fühle ich mich erinnert, wenn wieder einmal einer meiner besten Freunde mir erklärt, warum Genmais (oder die Kernkraft oder künstliche Düngemittel oder Fluor im Trinkwasser) Teufelsdinge sind. Aus Gründen, die später noch einmal näher betrachtet werden, hat er oder sie beschlossen, dieser Technik hinfort zu misstrauen. Oder sie sogar zu hassen.
    Und Hass ist eines unserer stärksten Gefühle, und damit auch eines, das am lautesten nach einer Rechtfertigung verlangt. Und wenn unsere rechte Gehirnhälfte diese Rechtfertigung braucht, dann kriegt sie die von der linken auch geliefert.
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    Eine große Hilfe dabei ist, was Psychologen als »Wahrnehmungsverzerrung« kennen. Wenn wir erst einmal beschlossen haben, gewisse Dinge gut oder schlecht zu finden, registriert unsere Wahrnehmung, ob wir wollen oder nicht, hinfort vor allem Informationen, die diese Einstellung verstärken. Wenn ich mich also einmal entschlossen habe, künstliche Farbstoffe in Lebensmitteln ekelhaft zu finden, fällt mir ab da jeder Artikel in der Bild -Zeitung sofort ins Auge, in dem von der möglicherweise krebserregenden Wirkung solcher Zusätze berichtet wird. Ein Konkurrenzbericht des Inhalts, alles nur Gerede, schafft es oft noch nicht einmal über unsere Wahrnehmungsschwelle (geschweige denn, dass wir die Nachricht abwägen und prüfen oder gar unser Verhalten ändern).
    Â»Selbst Wissenschaftler, auch wenn sie sich dies selbst nicht eingestehen, bewerten neue Informationen nicht objektiv«, schreibt der Risikoforscher Michael Siegrist. »Forschungsresultaten, die mit den Lieblingshypothesen übereinstimmen, wird automatisch eine höhere Qualität attestiert als Arbeiten, die in Widerspruch zu diesen Überzeugungen stehen. Häufig erkennen wir in den Daten, was wir sehen wollen. Wir sollten also nicht überrascht sein, wenn sich die Bevölkerung durch neue Informationen nicht von ihren Überzeugungen abbringen lässt.«
    Etwa durch die erfolgreiche Bewältigung eines Zwischenfalls in einem Kernkraftwerk: »Gegner und Befürworter kommen, aufgrund identischer Informationen, zu konträren Schlussfolgerungen. Befürworter schätzten die Wahrscheinlichkeit einer künftigen Katastrophe als tiefer ein, nachdem sie einen Bericht über einen Zwischenfall gelesen hatten. Die Sicherheitsmaßnahmen hatten schließlich funktioniert, folglich wurden Risiken als tiefer eingeschätzt. Die Konfidenz in das Sicherheitssystem wurde durch die erfolgreiche Bewältigung des Zwischenfalls noch verstärkt. Bei den Gegnern der Technologie führte der Bericht über den Zwischenfall dazu, dass ein künftiger ernsthafter Unfall als noch wahrscheinlicher eingestuft wurde. Diese Personen konzentrierten sich in erster Linie auf die Tatsache,

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