Die Angst der Woche
Futtergifte, denn die andere Ratte lebt ja noch.
Diese simple Regel lässt sich in vielen Kontexten anwenden und verweist das intensive Nachdenken auf den zweiten Platz. So berichtet etwa Gerd Gigerenzer von Experimenten, in denen er seine Studenten fragte: Welche Stadt ist gröÃer, San Diego oder San Antonio? Von seinen amerikanischen Studenten wussten zwei Drittel die richtige Antwort â San Diego â, von seinen deutschen Studenten alle. Aber nicht, weil sie einen besseren Geografieunterricht genossen hatten oder generell intelligenter gewesen wären, sondern weil sie die Wiedererkennungsheuristik nutzten: Von San Diego hatten die meisten schon gehört, von San Antonio eher nicht (es sei denn, sie hatten den Film »The Alamo« mit John Wayne gesehen). Ergo wählt man das, was man kennt. Die amerikanischen Studenten hingegen kannten sowohl San Antonio als auch San Diego und überlegten lange hin und her, welche Stadt von beiden denn die gröÃere sein könnte; und sehr viele überlegten dabei falsch.
Damit haben wir einen weiteren Grund identifiziert, warum viele Menschen viele Gefahren falsch einschätzen. Wenn wir etwa einen typischen Bundesbürger fragen, was er für gefährlicher hält, Mord oder Selbstmord, werden die meisten sagen: Mord. In Wahrheit kommen in Deutschland etwa 6000 Menschen pro Jahr durch Selbstmord um, durch Mord und Todschlag dagegen weit weniger als die Hälfte. Aber man liest darüber öfter in der Zeitung. Deswegen steht diese Gefahr den Menschen viel deutlicher vor Augen und wird deshalb auch als viel wahrscheinlicher geschätzt.
Ein weiteres, von vielen Menschen immer wieder gern benutztes Werkzeug zum Abkürzen komplizierter Kosten-Nutzen-Abwägungen ist die sogenannte Affektheuristik: Tue das, was dir Spaà macht, und vermeide das, was wehtut oder unangenehme Begleiterscheinungen hat. Wer diese Regeln befolgt, kommt im Allgemeinen ganz gut durchs Leben. Vermutlich ist auch dieses Verhaltensmuster genetisch fest verdrahtet. Aber leider ist es bei der Einschätzung von Gefahren und Risiken keine groÃe Hilfe, denn es führt dazu, dass wir die Risiken von Dingen, die uns Spaà machen â Autofahren, Sex, Rotwein trinken, fette Schweinshaxen essen usw. â, ganz systematisch unterschätzen. Auf der anderen Seite bauscht diese Affektheuristik die Risiken von allen Dingen, die uns keine Freude machen, ungebührlich auf. Dazu gehören zum Beispiel die Gefahren, die mit dem Arbeitsleben einhergehen, die Schadstoffbelastung am Arbeitsplatz, der Stress durch Ãberstunden, die Belastung durch Schichtarbeit. Wann immer hier eine Studie erscheint, die auf gesundheitlich bedenkliche Konsequenzen hinweist, kann sie einer groÃen medialen Wirkung sicher sein.
Wie Gerd Gigerenzer immer wieder betont, sind derartige simple Heuristiken nicht als solche gut oder schlecht, sondern sie sind gut oder schlecht je nach der Umgebung, in der sie zur Anwendung kommen. Und leider führen viele der Heuristiken, die uns in anderen Lebensbereichen durchaus helfen, beim Umgang mit Gefahr und Risiko leicht in die Irre.
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Literatur:
S. Dohle, C. Keller und M. Siegrist (2010): »Examining the relationship between affect and implicit associations: Implications for risk perception«, Risk Analysis 30 (7), S. 1116 â 1128
A. M. Finkel: »Perceiving othersâ perceptions of risk â still a task for sisyphus«, Annals of the N.Y. Academy of Sciences 1125 (2008), S. 121 â 137
M. L. Finucane, A. Alhakami, P. Slovic und S. M. Johnson (2000): »The affect heuristic in judgments of risks and benefits«, Journal of Behavioral Decision Making 1 3 (1), S. 1 â 17
Gerd Gigerenzer: Bauchentscheidungen. Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition, München 2007 (Bertelsmann)
Desmond Morris: Der nackte Affe , München 1968, 26. Auflage 1995 (Droemer Knaur)
R. Nef: »Wider die Technik-Phobie«, Liberales Institut 2002
P. Slovic, B. Fischhoff und S. Lichtenstein: »Rating the risks«, Environment 2 (1979), S. 14 â 20 und 36 â 39
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