Die Angst der Woche
ein unbestreitbar verdienstvolles Unterfangen.
Aber darum geht es der EU ganz offensichtlich nicht. Denn eine Vorschrift zum Umgang mit gefährlichen Stoffen â die sogenannte Seveso-II-Richtlinie â gibt es schon (Richtlinie 96/82/EG des Rates vom 9. Dezember 1996). Die Frage ist auch nicht: Kontrolle Ja oder Nein (natürlich Ja), sondern: »Noch mehr Kontrolle Ja oder Nein?« Und hier spricht die ökonomische und ökologische Vernunft ganz klar für Nein. Auch ohne den gesamten Nutzen eines Regulierungswerks infrage zu stellen, kann der zusätzliche Nutzen von zusätzlichen Restriktionen durchaus angezweifelt werden.
Unter Ãkonomen ist das als der Unterschied zwischen Nutzen und Grenz nutzen bekannt: Wer nur 100 Euro in der Tasche hat, freut sich über jeden zusätzlichen Zehner sehr. Wer 1000 hat, schon weniger, und Bill Gates lacht nur darüber. Und es ist genau dieser abnehmende Nutzen von noch mehr Regulierung, der REACH zu einer gigantischen Verschwendung knapper Mittel werden lässt. Wie etwa der
US-amerikanische Bundesrichter Stephen Breyer in seiner viel zitierten Studie zur internationalen Risikoregulierung anmerkt, kann das Streben nach absoluter Kontrolle, nach der Elimination auch der letzten Risikopromille für eine bestimmte Gefahrenquelle unter AuÃerachtlassung aller anderen Gefahrenquellen mehr schädliche Nebenwirkungen erzeugen, als an Nutzen zu erwarten ist: »Unsere Versuche, auch noch die letzten Meter zu schaffen, können AusmaÃe annehmen, dass der Schaden den Nutzen bei Weitem überwiegt.«
Genau das scheint bei REACH der Fall zu sein: Der zusätzliche Nutzen wird von der EU-Kommission viel zu optimistisch, die Kosten und der Schaden werden viel zu niedrig eingeschätzt. Pro Registrierung und Substanz kommen auf die Produzenten Kosten von 50 000 Euro bis mehr als eine Million Euro zu, bei geschätzten rund 30 000 zu registrierenden Stoffen also letztendlich vom Verbraucher über erhöhte Preise zu zahlende Gesamtkosten von mehreren Milliarden Euro jährlich. Allein für die Firma Ciba erwarte er bis ins Jahr 2018 Kosten von 100 bis 125 Millionen Schweizer Franken, erklärte deren Medienspecher Dominik Marbet gegenüber der Nachrichtenagentur SDA. Das Projekt laufe seit eineinhalb Jahren und binde seit dem Start etwa 150 Angestellte. Und die Ludwigshafener BASF AG rechnet bis 2018 mit zusätzlichen Kosten von mehr als 500 Millionen Euro (die dann, auch wenn das die Firma nicht so deutlich sagt, entweder an uns Endverbraucher weitergegeben oder in Form von Entlassungen auf die Arbeitnehmer abgeladen werden).
Neben diesen direkten Kosten wegen der erforderlichen Studien gibt es weitere Kosten indirekter Art. So rechnen viele Firmen mit einer spürbaren Preiserhöhung für Rohstoffe, weil die registrierungspflichtigen Hersteller ihre direkten Kosten zumindest teilweise an ihre Kunden weiterreichen.
Weitere ganz wichtige indirekte Kosten entstehen durch den Wegfall des Nutzens gefährlicher Chemikalien, der bei deren Ersatz durch weniger effiziente Mittel oder gar bei einem vollständigen Verbot dann ebenfalls entfiele. Nach deren Abschätzung sucht man in den einschlägigen Dokumenten der EU-Kommission vergebens. Ein erstes hier sich sofort aufdrängendes Beispiel ist das weltweite Verbot von gewissen Pflanzenschutzmitteln wie DDT. Bekanntlich wurde dieses aufgrund einer weltweiten, durch das Buch Der stumme Frühling von Rachel Carson (1962) ausgelösten Medienkampagne vom Markt genommen â mit dem Effekt, dass seither jährlich Hunderttausende, nach anderen Schätzungen sogar mehr als zwei Millionen Menschen jährlich an Infektionskrankheiten sterben, die ansonsten nicht gestorben wären.
Die folgende Tabelle zeigt beispielhaft die Anzahl von Malariafällen in Sri Lanka vor und nach dem Verbot von DDT.
Â
Malariafälle in Sri Lanka vor und nach dem Verbot von DDT
Jahr
Anzahl Fälle
1946
2800000
1961 (nach Einführung
von DDT)
110
1962
31
1963
17
1964 (ab jetzt ist DDT
verboten)
150
1965
308
1966
499
1967
3466
1968
2500000
Â
Dergleichen Statistiken haben Hubert Markl, den ehemaligen Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, zu dem Schluss geführt, dass »die Nebenwirkungen des DDT-Verbotes ⦠mit Sicherheit mehr Menschen das Leben gekostet [haben] als die Nebenwirkungen des DDT«.
Gleiches gilt auch
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