Die Angst der Woche
für verschiedene andere Pestizide. So hat etwa das Verbot des Pflanzenschutzmittels EDB (ethylene dibromide) in den USA ein minimales Krebsrisiko verhindert, zugleich aber der Verbreitung eines weitaus schädlicheren und krebserzeugenden Pilzes Vorschub geleistet, der sich auf den bis dato mit EDB behandelten Lebensmitteln ausbreiten konnte. Oder man nehme andere durchaus gefährliche Chemikalien wie Fluor, dessen nützliche Effekte für die Zahngesundheit gleichfalls unbestritten sind, oder Chlor. Chlor ist ohne jeden Zweifel toxisch, zugleich aber eine der wirksamsten Waffen im weltweiten Kampf gegen diverse Infektionskrankheiten wie die Cholera. So wird etwa die massive Cholera-Epidemie in Südamerika Anfang der 90er-Jahre, die allein in Peru 7000 Menschen das Leben kostete und zu weiteren 800 000 Krankheitsfällen führte, auf die Weigerung der peruanischen Regierung zurückgeführt, das peruanische Trinkwasser mit Chlor zu desinfizieren. Die Regierung hatte sich von amerikanischen Studien zur potenziell krebserzeugenden Wirkung von Chlor verunsichern lassen.
Aus den gleichen Gründen â weil die unangenehmen Nebenwirkungen eines Verbots dessen Nutzen bei Weitem übersteigen â ist auch der jahrzehntelange Kreuzzug von Umweltverbänden aller Art gegen die Chemikalie PVC verfehlt. PVC steht für Polyvinylchlorid, ein erstmals in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts in groÃem MaÃstab hergestellter Kunststoff, wie er vor allem in FuÃbodenbelägen, Fensterprofilen, Rohren aller Art, Kabelisolierungen und auch Schallplatten Verwendung findet (die heiÃen im Englischen Vinyls). Und wenn Sie demnächst wieder mit Ihrer Kreditkarte zum Einkaufen gehen, dann ist die mit groÃer Wahrscheinlichkeit ebenfalls aus PVC.
PVC besteht aus Chlor und Kohlenwasserstoff und ist extrem witterungsbeständig, preiswert und langlebig. Allerdings ist Vinylchlorid, der Ausgangsstoff von PVC, als krebserregend anerkannt, und beim Verbrennen entsteht Dioxin. Obwohl diese Gefahrenquellen inzwischen gut beherrschbar sind â so kommen etwa Arbeiter heute nicht mehr mit Vinylchlorid in Berührung, und dessen Restspuren in PVC liegen um einen Faktor über 1000 unter dem der 70er-Jahre â, protestiert man dennoch munter weiter:
»PVC ist ein Umweltgift«, lese ich im Netz auf einer Greenpeace-Seite. »Denn von der Produktion bis zur Entsorgung verursacht PVC eine Vielzahl von Umwelt- und Gesundheitsbelastungen: Diese beginnen mit der Produktion des hochgiftigen Chlorgases, die mit hohem Energieeinsatz verbunden ist. Die PVC-Vorprodukte Ethylendichlorid (EDC) und Vinylchlorid (VC) sind stark gesundheitsschädliche Chemikalien, Vinylchlorid (VC) ist sogar erwiesenermaÃen krebserregend für den Menschen. Bei der Produktion von EDC und VC fallen beträchtliche Mengen hochgiftiger dioxinhaltiger Abfälle sowie groÃe Mengen an giftigen Abwässern an. Dem daraus produzierten Roh-PVC muss eine Vielzahl von teilweise umwelt- und gesundheitsschädlichen Zusatzstoffen wie Schwermetall-Stabilisatoren (etwa Blei oder Barium), Weichmacher (Phthalate) und chlorierte oder bromierte Flammschutzmittel beigemengt werden.«
Und so weiter, die bekannte Leier. Das und das ist da, aber wie viel davon da ist, und ab wann das Ganze gefährlich wird, dazu schweigt des Sängers Mund.
Ausnahmsweise scheint aber hier einmal die Vernunft zu siegen, die PVC-Erzeugung nimmt seit Jahren zu. Inzwischen werden weltweit über 30 Millionen Tonnen jährlich hergestellt. Allein in Deutschland arbeiten rund 150 000 Beschäftigte in 5000 Unternehmen an der Produktion.
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Obwohl in dem Extended Impact Assessment der EU immer wieder davon die Rede ist, dass man bei der Würdigung von Chemikalien alle Effekte, die positiven und negativen Wirkungen ihres Einsatzes wie auch ihres Nichteinsatzes, berücksichtigen müsse, werden diese unerwünschten Nebenwirkungen eines Chemikalienverbots durchweg ignoriert. Auch ein Strategiepapier der Weltbank oder der WWF-Forschungsbericht, auf welchen die EU-Kommission sich immer wieder stützt, blenden dergleichen unerwünschte Nebenwirkungen in aller Regel aus. Das Weltbank-Strategiepapier zum Beispiel weist zwischen 0,6 Prozent und 2,5 Prozent des gesamten Morbiditätsgeschehens in entwickelten Industrienationen von Menschen gemachten Chemikalien zu, ohne jede Rücksicht auf
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