Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Angst der Woche

Die Angst der Woche

Titel: Die Angst der Woche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Krämer
Vom Netzwerk:
denjenigen Teil eines möglichen Morbiditätsspektrums, der durch diese Chemikalien verhindert worden ist, und ohne abzuschätzen, welche neuen Krankheiten durch Verbote dieser Chemikalien zur Ausbreitung gelangen könnten. Damit befinden sich die EU-Kommission und die Weltbank, auf die die EU-Kommission sich stützt, im Widerspruch zu einer in anderen Weltbank-Dokumenten festgelegten Vorgehensweise, bei allen öffentlichen Gesundheitsmaßnahmen immer auch eine »Was-wäre-wenn-Analyse« anzustellen. Was wäre, wenn es die durch das REACH-Programm vom Markt ferngehaltenen Gefahrenstoffe tatsächlich nicht mehr gäbe? Hier ist die EU-Kommission mit ihrer Bruttoanalyse ganz offenbar auf einem Auge blind.
    Und selbst diese Bruttoanalyse ist angreifbar. Zum Beispiel berücksichtigt sie nur ungenügend die in den letzten Jahren vermehrt an den epidemiologischen und statistischen Grundlagen der Risikozuweisung für Gesundheitsstörungen vorgebrachte Kritik. Diese Kritik bezieht sich auf die zwei aus Tierexperimenten nötigen Extrapolationen, von hoher zu niedriger Dosis und von Tier zu Mensch. Darüber hinaus richtet sie sich auf die übertriebene Betonung künstlicher Karzinogene und Umweltgifte im Vergleich zu genetischen und natürlichen Risiken. Letztere werden inzwischen in der seriösen Forschung weltweit als die weitaus gefährlicheren angesehen. Daher ist die in dem »Extended Impact Assessment« der EU-Kommission getroffene Annahme, 1 Prozent des gesamten Krankheitsgeschehens in der EU ginge auf Chemikalien zurück, nicht konservativ, wie dort behauptet, sondern schlicht falsch.
    Und selbst wenn sie korrekt wäre, könnte man immer noch nicht der EU-Kommission in ihrer Aussage folgen, ein beträchtlicher Teil dieser Krankheitslast könnte durch REACH verhindert werden. Ein einfacher Vergleich der durch REACH betroffenen Chemikalien mit den im Weltbank-Papier genannten Verursachern dieser 1 Prozent des gesamten Krankheitsgeschehens zeigt nämlich, dass es zwischen diesen nur minimale Überschneidungen gibt. Mit anderen Worten, die durch REACH bekämpften Gefahrenquellen sind nicht diejenigen, auf welche sich das Weltbank-Szenario mit seiner Abschätzung des auf künstlichen Chemikalien beruhenden Krankheitsgeschehens stützt; die immer wieder zitierten, auf Chemikalien zurückzuführenden 1 Prozent dieses Krankheitsgeschehens sind nichts als eine Schätzung aus der hohlen Hand.
    Â 
    Â 
    Wie lässt sich nun ein möglicher Rückgang des Krankheitsgeschehens und wie lassen sich gewonnene Lebensjahre gegen andere, ebenfalls den Menschen wichtige Güter abwägen, speziell: in Geld bewerten? Allein schon die Frage klingt für viele wie ein Sakrileg. Aber die EU-Kommission hat sie selbst gestellt und gleich auch eine Antwort mitgeliefert: 50 Milliarden Euro. So viel wären, wenn man den EU-Kommissaren glauben darf, die Bürger Europas bereit, für REACH zu zahlen, wenn man sie denn fragte.
    Diese Zahl, obwohl laut Eingeständnis der EU nur Ausfluss eines »illustrativen Szenarios«, soll ganz offensichtlich das REACH-Programm auch als ökonomisch sinnvoll erscheinen lassen und wird auch immer wieder von der Kommission als Pro-Argument herausgestellt. Sie basiert auf den Annahmen, dass
    (i) 1 Prozent des gesamten Krankheitsgeschehens in entwickelten Industrienationen, gemessen in sogenannten DALYs (»Disability Adjusted Life Years«), auf Chemieprodukte zurückzuführen ist (»agro-industrial chemicals and chemical pollution from diffuse sources«);
    (ii) davon wiederum 10 Prozent durch REACH erfasst und beseitigt werden können (wobei die positiven Wirkungen zehn Jahre nach der Einführung von REACH beginnen);
    (iii) zehn DALYs einem verhinderten Todesfall entsprechen und
    (iv) ein verhinderter Todesfall, im Sinn eines Rückgangs der Sterbewahrscheinlichkeit binnen eines Jahres für eine Million EU-Bürger um einen zehntausendstel Prozentpunkt, mit einer Million Euro zu bewerten ist.
    Diese Annahmen ergeben 4500 verhinderte Todesfälle pro Jahr (beginnend zehn Jahre nach der Einführung von REACH) über 20 Jahre mit einem monetären Nutzen von 4500 × 1 Million = 4,5 Milliarden Euro ab Jahr Nr. 10. Durch Diskontierung mit 3 Prozent pro Jahr erhält man dann einen Barwert des monetären Nutzens von ungefähr 50 Milliarden Euro.
    Dieses

Weitere Kostenlose Bücher