Die Angst des wei�en Mannes
geschlagen.
Bei der Betreuung der Ärmsten haben sich ausgerechnet jene islamistischen Organisationen Verdienst und Ansehen erworben, die im Westen im Verdacht des Terrorismus stehen. Über den rötlichen Ziegeldächern, die das andernorts übliche Wellblech vorteilhaft ersetzen, wachsen immer mehr Minarette hoch. Die Gebetsstätten sindin recht dürftigem Stil errichtet, weisen aber auch bizarre architektonische Einfälle auf, wie jene »Jami’« bei Solo, die an die Basilius-Kathedrale von Moskau erinnert. Das hektische Treiben im Stadtkern wird von zahllosen, auf Kredit erworbenen Motorrädern beherrscht. Die klotzige Festung aus der frühen holländischen Zeit, deren Mauern vom Monsunregen geschwärzt sind, erhebt sich wie eine finstere Kulisse. Die Reisfelder Javas steigen weiterhin in Stufen vor dem bedrohlichen Hintergrund brodelnder Vulkane an.
Die Insel leidet unter dramatischer Überbevölkerung. Nur an wenigen Orten der Welt leben die Menschen so eng zusammenge drängt. Normalerweise müßte eine solche Kompression explosive Stimmung und ständige Querelen zur Folge haben. Aber in Insu linde hat sich eine Mentalität durchgesetzt, die in einer Broschüre der deutschen Botschaft zutreffend wie folgt beschrieben wird:
»Die altjavanische Kultur in ihren vielfältigen Aspekten hat ein spezielles soziales Verhaltensmuster geschaffen, bei dem zwei Elemente eine wichtige Rolle spielen: Zum einen ist es das auch in anderen asiatischen Gesellschaften angelegte Streben nach Harmonie, zum anderen die Tatsache, daß in Java die Menschen so dicht aufeinander wohnen, daß sich notgedrungen strenge Re geln des höflichen Miteinanders entwickelt haben. Indonesier sind bemüht, zumindest in äußerer Übereinstimmung und Harmonie mit ihren Mitmenschen zu leben. In Indonesien ist man daher in allen Situationen gleichbleibend freundlich und lächelt. Man lächelt auch, wenn man eine Antwort nicht weiß oder nicht geben will, um den Gesprächspartner nicht zu verlet zen. Jeder soll sein Gesicht wahren können. Der Javaner vermei det direkte Aussagen, besonders wenn sie ablehnender Natur sind. Entsprechend ist von einem indonesischen Gesprächspart ner selten ein klares ›Nein‹ zu erwarten. Ein deutliches Zögern oder ein ›Vielleicht‹ ist vielfach als Ablehnung anzusehen. Auch in schwierigen Situationen bleibt die Stimme ruhig und gelassen. Deutliche, aggressive Gefühlsäußerungen führen zum Gesichts verlust und schaden der Harmonie.
Jewichtiger ein Thema, je höherstehend der Gesprächspartner ist, desto leiser spricht man. Selten wird man ungeduldig oder laut. Es wird wenig gestikuliert. Auch beim Handeln gilt: Immer freundlich sein, damit jeder sein Gesicht wahren kann. Zurück haltung, Rücksichtnahme auf andere und ein Verhalten, das nie mals in die Enge und damit in den Gesichtsverlust treibt, sind die wichtigsten Grundlagen altjavanischer Zivilisation, die sich bis heute erhalten haben und auch in der technischen Gesellschaft der indonesischen Großstädte wirksam bleiben. Allerdings stammt der Begriff ›Amok‹ ebenfalls aus dem hiesigen Kultur kreis.«
Schon die Niederländer hatten versucht, dem unerträglichen Druck dieser demographischen Ballung durch Zwangsumsiedlungen auf andere, weniger dicht bevölkerte Inseln entgegenzuwirken. Das Ex periment war gescheitert. Nach dem Militärputsch von 1965 nahm der neue Staatspräsident Suharto mit robusten Methoden eine ähn liche Umschichtung unter dem Slogan »Transmigrasie« in Angriff. Auch seine Aktion verfehlte ihr Ziel. Im Frühjahr 1975 wurde ich Augenzeuge einer solchen menschlichen Transplantation.
In einem trostlosen Sumpfgebiet Westsumatras hatte der »lä chelnde General« Suharto im Raum von Rantau-Rasau ein neues Umsiedlerprojekt höchstpersönlich eingeweiht. Die Erde dort war schwarz und faulig. In den frisch ausgehobenen Kanälen stand das brackige Wasser dunkel gefärbt wie stinkendes Blut. Die Luft wim melte von Moskitos. Ein bleierner Himmel lastete auf schwarzen Baumstümpfen, und wir fühlten uns dem Ersticken nah.
Der Staatschef, der in Zivil mit dem schwarzen Samtkäppchen auftrat, schien weniger unter dieser Trostlosigkeit zu leiden als die Neusiedler aus Ostjava, die aus ihrer fruchtbaren, lieblichen Heimat in die feindliche, menschenleere Wildnis verpflanzt wurden. Mit wohlwollender Miene hatte Suharto die angetretenen Pfadfinder begrüßt, die Notabeln seiner Gunst versichert, das kleine Erntemesser zur Hand genommen, um
Weitere Kostenlose Bücher