Die Angst des wei�en Mannes
Gottesdienst einbezogen. So werden Cibo rium und Kelch von zwei Schülern getragen. In Weihrauchschwa den gehüllt, blicken große Ordensfiguren auf die Gemeinde, wie der heilige Franziskus Xaverius, der in Indien missionierte, aber auch Petrus Canisius, der im Abendland an der Spitze der Gegen reformation stand und in meinem Internat von Fribourg, wo er be stattet ist, als zweiter Apostel Deutschlands verehrt wurde.
Die Vulgarisierung der Liturgie, die in Deutschland oft zu gro tesken Verrenkungen klerikaler Anpassung an den vermeintlichen Zeitgeist geführt hat, ist den Christen von Yogyakarta erspart ge blieben. Unter Berücksichtigung der javanischen Eigenheit wird das Osterevangelium, die Erscheinung des vom Tod auferstande nen Heilands vor den Jüngern von Emmaus, theatralisch wie ein mittelalterliches Mysterienspiel aufgeführt. Die schlichte Szene ist frei von Kitsch und Effekthascherei. Sie berührt mich zutiefst.
Die jungen Leute bereiten sich auf die Kommunion vor, an der sie ohne Ausnahme teilnehmen werden. Ich spüre, daß jedermann auch von mir erwartet, daß ich zum Altar schreite, um die Hostie, den »Corpus Christi«, aus der Hand einer dunkelhäutigen Nonne zu empfangen. Getreu meiner präkonziliaren Erziehung beuge ich mich zu Pater Markus. »Ich möchte ja gerne an der Kommunion teilnehmen«, sage ich, »aber ich habe nicht gebeichtet.« Der Jesuit zögert keine Sekunde: »Gehen Sie trotzdem hin«, fordert er mich lächelnd auf. »Dann erteilen Sie mir wenigstens die Absolution«, insistiere ich und höre die Worte: »Ego te absolvo …«
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ZumAbendessen habe ich den deutschen Geistlichen nach dem Gottesdienst in das Hyatt-Hotel am Rande von Yogyakarta einge laden. Noch trägt die Fünfsterne-Herberge, deren geschmackvolle und komfortable Einrichtung mit javanischen Stilelementen ge schmückt ist, den Namen einer nordamerikanischen Hotelkette. Aber die US Citizens sind selten geworden. Die offiziellen Vertre ter der USA verbarrikadieren sich in ihrer Botschaft, die zur Fes tung ausgebaut wurde.
Der Touristenstrom von einst ist abgeflaut, und massive Handels delegationen gibt es kaum noch. Das liegt am niedrigen Kurs des Dollar, der Reisen ins Ausland beträchtlich verteuert, aber mehr noch an der Befürchtung, Anschlägen von Terroristen, Entführun gen oder Erpressungen ausgesetzt zu sein. Auch die Australier sind seit dem Bombenanschlag von Kuta vorsichtig geworden. Im Spei sesaal überwiegen asiatische Gäste aus den fernöstlichen Wohl standssphären wie Südkorea, Taiwan, Malaysia oder Singapur, aber auch zahlreiche Indonesier können sich offenbar die Kosten einer solchen Unterbringung leisten.
Die wenigen anwesenden Weißen fallen unangenehm auf. Sogar zum Dinner erscheinen sie in abscheulichem Freizeitlook. Obwohl sie zweifellos aus vermögenden Verhältnissen stammen, treten sie wie Landstreicher auf mit halblangen Schlabberhosen und Sanda len, was wohl »coole« Lässigkeit vortäuschen soll. Fast alle haben sich am Swimmingpool einen Sonnenbrand geholt, und ihre gerö tete Haut unterscheidet sich unvorteilhaft von den matten Bronze-tönen der Eingeborenen. Ihre lauten Gespräche und dröhnenden Heiterkeitsausbrüche übertönen geradezu peinlich die zurückhal tende Gesittung der Asiaten.
Irgendwie kommt das Gefühl auf, daß diese plumpen Barbaren überflüssig und ärgerlich geworden sind. Tröstlich für europäische Ohren sind die Klänge des kleinen Orchesters – ein Klavierspieler und zwei zierliche Mädchen mit Geige und Flöte –, deren Weisen ein wenig nostalgisch stimmen. Sie haben eine Vorliebe für die Beatles. Auf »Let it Be« folgen »Yesterday« und »Rain and Tears«; am Ende gehen sie zu Edith Piaf über und deren Lied »La vie en rose«.
BeiTisch deutet Pater Markus an, daß er die Möglichkeit eines dauerhaften Religionsfriedens in diesem Raum weniger hoffnungs voll beurteilt als seine Confratres in Jakarta, die im vergangenen Jahr in der »Muhammadiyah University« von Solo gemeinsam mit einer Reihe von Koranlehrern ein einträchtiges Colloquium über den »Clash of civilizations« veranstalteten. Es gebe in Indonesien eine Regel, wonach alle acht Jahre eine blutige Konfrontation poli tischer oder konfessioneller Natur fällig sei. Ähnlich verhalte es sich ja auch mit Vulkanausbrüchen. Man solle sich durch die offizielle Verträglichkeit nicht täuschen lassen. Sie entspräche einem Verhal ten, das bei den Malaien als »Mussawarah« praktiziert
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