Die Angst des wei�en Mannes
huldigte als brave Muslime dem mysteriö sen Erbe ihrer Ahnen. Zu Füßen der riesigen Steinkulisse traten bar barisch kostümierte Tanzgruppen auf, die beinahe aztekisch wirkten und auf bizarre Weise die Unvereinbarkeit dieses Kultes mit den strengen Geboten des islamischen Monotheismus unterstrichen. Wer weiß schon, daß im vierzehnten Jahrhundert die Vajradhara-Sekte sich an dieser Stelle sexuellen Ausschweifungen hingab, die in krassem Gegensatz zur buddhistischen Weltentsagung standen?
In ähnlichem Gedränge bewegten sich die javanischen Familien bei ihrem Feiertagsausflug zum gigantischen Pantheon der hindui stischen Tempel von Paramban, wo die extravagante Götterwelt der Brahmas, Vischnus und Schivas, in Stein gemeißelt, auf die ewige Wiederholung von Schöpfung und Untergang verweist. Niemand schien an diesen Relikten der hinduistischen Jahiliya Anstoß zu neh men, ja ich gewann den Eindruck, daß die endlosen Kolonnen der Mopeds, deren behelmte Fahrer wie ein dichter Insektenschwarm um das Heiligtum kreisten, sich diesen Monumenten ihrer Ge schichte mit der Ehrfurcht von Pilgern näherten.
DasÄrgernis Manuel II .
Ein paar Tage vor dem Osterfest 2008 bin ich einer Einladung des deutschen Botschafters Paul von Maltzahn gefolgt, der eine Runde von Experten versammelt hat. Die nüchterne Lagebeurteilung des Diplomaten hatte ich schon etliche Jahre zuvor schätzengelernt, als er die Interessen der Bundesrepublik in Teheran vertrat. Wer im schiitischen Gottesstaat der iranischen Ayatollahs gelebt hat, hütet sich vor voreiligen Analysen. Trotz der Versöhnlichkeit, die sich unter dem jetzigen Präsidenten Susilo Bambang Yudhoyono ein gestellt hat und die von deutschen Orientalisten als Beweis für die Verträglichkeit von Islam und Demokratie gerühmt wird, verzich tete der Botschafter auf Schönfärberei.
Neben der islamischen Massenbewegung »Nahdat ul Ulama« hat sich die andere gewichtige Islam-Partei, die »Muhammadiya«, einer strengen Koranauslegung zugewandt. Sie findet bei den Stu denten technischer Hochschulen zunehmenden Einfluß und beruft sich auf die Erneuerungsbewegung der »Salafiya«, die unter ihrem ägyptischen Inspirator Scheikh Mohammed Abduh im Westen zu nächst positiv und fortschrittlich bewertet wurde, ehe ein radikaler Flügel zu Mord und Totschlag aufrief. Daß der jetzige Staatschef Indonesiens religiöse Harmonie zu stiften sucht und damit den stärksten Zuspruch bei den Parlamentswahlen erzielt hat, wird als positives Signal gewertet, zumal die aus der Armee hervorgegan gene Golkar-Bewegung wie auch die Demokratische Partei der Sukarno-Tochter Megawatti dem indonesischen Nationalismus den Vorrang vor dem religiösen Engagement einräumen. Es be steht Hoffnung, daß dem gewaltigen Inselstaat jene konfessionel len Spannungen erspart bleiben, die so viele andere Regionen er schüttern.
Wer seine Beobachtungen jedoch im alten Sultanssitz Solo anstellt, wo die schlummernde Gewaltbereitschaft nach Ausrottung der einst stark vertretenen kommunistischen Partei nunmehr im religiösen Fanatismus ein neues Betätigungsfeld finden könnte, der mußfeststellen, daß sich hier – wie in der Provinz Aceh im Norden Sumatras – die koranische Gesetzgebung bereits durchgesetzt hat.
Mag die »Jamaat el Islamiya«, die ganz offen für die Schaffung eines islamischen Gottesstaates eintritt, bei den jüngsten Wahlen auch ziemlich kläglich abgeschnitten haben, an höchster Stelle wagt man es nicht, gegen jene Verschwörergruppen, die unter dem Ver dacht stehen, an den grauenhaften Attentaten von Bali beteiligt zu sein, mit der gebotenen Strenge vorzugehen.
Es berührt seltsam, daß die Korangelehrten der »Majlis el Ulama Indonesia« ohne theologische Berechtigung Fatwas verkünden, die die extreme Prüderie der wahhabitischen Frömmler Saudi-Ara biens nachahmen. Selbst der Staatschef konnte nicht umhin, die »Ahmadiya«-Sekte, die von der reinen Lehre abweicht, unter strik tes Verbot zu stellen. Mit der gebotenen Diskretion agieren unter dessen die Zellen der »Hizb Tahrir«, der Partei der Befreiung, die den Kampf gegen den amerikanischen Imperialismus und die rest lichen Kreuzzügler auf ganz Südostasien ausdehnen möchten. Immerhin hatten sich 3000 indonesische Mudjahidin am antisowje tischen Krieg in Afghanistan beteiligt. Neben der Türkei, die an geblich noch am westlichen Säkularismus festhält, entsendet Indo nesien jedes Jahr das stärkste Pilgerkontingent zur Wallfahrt, zur Hadj
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