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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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ist.
    1989 hatte ich die dortige Hauptstadt Hohhot aufgesucht und einige volkstümliche Darbietungen dieses einst so gefürchteten Nomadenvolkes in der nach Norden ausufernden riesigen Gras landschaft bewundern können. Alle kulturelle Scheinförderung täuschte nicht darüber hinweg, daß der Prozentsatz der reinrassi gen Mongolen an der Gesamtbevölkerung damals schon auf sieb zehn Prozent herabgesunken war.
    Ähnliches steht wohl am Ende auch den Tibetern bevor. Zwar werden im ehemaligen Sommerpalast des Dalai Lama die zahllosen Abbildungen des vertriebenen Gott-Königs dem fremden Besucher nicht demonstrativ angeboten, wie das noch 1981 der Fall war. Aber die symbolische Bedeutung dieses »Heiligen Vaters« für das kultu relle Überleben, die mystische Religiosität und das nationale Selbst bewußtsein seiner Landsleute ist bis heute erhalten geblieben und taucht – selbst im Gespräch der Chinesen – immer wieder auf.
    Daß es wenige Monate nach meiner Abreise aus Lhasa zu gewalt tätigenantichinesischen Ausschreitungen kommen würde, die den Glanz der olympischen Spiele verdüstern sollten, konnte damals kein Außenstehender erahnen.
    *
    Meine eigentliche Reiseabsicht habe ich nicht verwirklichen kön nen. Südöstlich von Shigatse, wo mich ein Buddha mit Pferdekopf besonders beeindruckt, befahren wir die Asphaltbahn über die Ga belung von Gyangze bis zu der kleinen Ortschaft Kangmar. Von da an, so versichern mir meine Betreuer, sei die Straße durch den for cierten Ausbau kaum noch passierbar. Darüber hinaus sei die Zone zum militärischen Sperrgebiet erklärt worden.
    Was bleibt mir an Impressionen von dieser kurzen Expedition? Eindrucksvoll waren die mächtigen Burgen, die auf steilen Klip pen, ganz anders als die Lama-Klöster, auf eine kriegerische Ver gangenheit verwiesen. Oft sind die Monasterien der Lamas und die Festungen der früheren Feudalherren kaum zu unterscheiden. Auch hier hat die Kulturrevolution pittoreske Ruinen hinterlassen.
    Am Straßenrand versuche ich vergeblich mit den dort arbeiten den Einheimischen ins Gespräch zu kommen. Ihre ledergegerbten Gesichter verschönen sich zu einem strahlenden Lächeln, als sie mich vermutlich für einen Amerikaner halten. Als solcher, so spüre ich, gelte ich als ihr heimlicher Verbündeter in der unverbrüchli chen Treue dieser einfachen Menschen zu ihrem geliebten Exil-Kaiser. Sie kennen nur ein einziges englisches Wort: »bye-bye«, das sie mir zum Abschied pausenlos nachrufen. Die Architektur der Ortschaft Gyangze ist modern und reizlos. Die Nahrung, die dort serviert wird, ist kaum genießbar, und die vom Wirt angepriesene »Spring roll« aus Yak-Fleisch unverdaulich.
    In kulinarischer Hinsicht war ich auch in Lhasa nicht verwöhnt worden. Im Altstadtdistrikt von Barkor hatten wir das renommierte Restaurant »House of Shambhala« aufgesucht. In dem relativen Komfort der verschachtelten Holzräume hatte einst die Elite des Landes, die adligen Großgrundbesitzer und die zu hohen Würden gelangten Lamas, gelebt. Immerhin wagte ich es dort, den landes üblichenTee mit Yak-Butter widerwillig, aber ohne gesundheitliche Folgen zu trinken.
    Auf dem flachen Land hingegen, auf der Route nach Sikkim, hat mein tibetischer Begleiter Wang Chuk auf einer Rast in einem ärmlichen Hof bestanden. Ich hatte den Verdacht, er wollte mir vorführen, daß bei allem Fortschritt und aller Modernität, mit de nen Peking sein Land zu segnen suchte, immer noch eine breite Schicht Bauern an diesen Vorzügen nur geringen Anteil hätten.
    Die alte Bäuerin wohnte tatsächlich in einem recht erbärmlichen Schuppen. Auch dort war mir entsprechend der Landessitte der Tee mit Yak-Butter ausgeschenkt worden. Aber im Gegensatz zu dem Gebräu, das mir in Lhasa angeboten wurde, hatte in dieser entlege nen Gegend keinerlei Sterilisation stattgefunden, was in der Folge jenes Übel bei mir auslöste, das die Amerikaner als »Montezumas Rache« bezeichnen und das in dieser Weltgegend als »Rache des Guru Rinpoche« gelten könnte. Offenbar werden die Menschen, die in dieser rauhen Umgebung ihre schwere Arbeit verrichten, nicht alt, so daß die Mitteilung Wang Chuks, ich sei 83 Jahre alt, fröhliche Verwunderung auslöste, als sei ihnen die Erscheinung eines exotischen Bodhisattva begegnet.
»Abgrund der Weisheit«
    Der Zeitpunkt für den spektakulären Aufruhr gegen die chinesi sche Bevormundung, gegen den »kulturellen Genozid«, wie der Dalai Lama die Sinisierung seiner Heimat nennt,

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