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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Manipulationen, die sich sogar in der verzerrten Berichterstattung der Olympiade von Peking widerspiegelten, den hehren Zielen von Freiheit und Menschenrechten gedient, sollte sich bewußt sein, daß – von einigen Außenseitern abgesehen – beim größten Volk der Erde der Eindruck entstand, in eine Diskriminierung undMißachtung zurückgestoßen zu werden, denen es ja unlängst noch auf so schmähliche Weise ausgesetzt war.
    Es geht hier um weit mehr als um das Macht- und Einflußringen, das sich China und die USA – letztere gestützt auf indische Schüt zenhilfe – seit der Machtergreifung Mao Zedongs im Umkreis des Himalaya liefern. Die im Westen um sich greifende Schwärmerei für den Buddhismus – inkarniert in der Person des Dalai Lama – of fenbart eine bestürzende metaphysische Ratlosigkeit.
    Das religiöse Bedürfnis, das nun einmal dem Homo sapiens seit seiner Entstehung innewohnt und das ihn von allen anderen anima lischen Gattungen unterscheidet, wird offenbar durch die überlie ferten abrahamitischen Mythen nicht mehr befriedigt. In dieses mentale Vakuum drängt sich eine in mancher Hinsicht bewun dernswerte Offenbarung, die aber gerade in ihrer tantrischen tibe tischen Auslegung durch düstere Relikte von Schamanentum ver düstert wird. Allzu viele Amerikaner und Europäer haben mit ausufernder Phantasie das tibetische Hochland in eine Art Shangri-La verwandelt. Die Aussicht auf Wiedergeburt und das alles erlö sende Nirwana soll die dem Menschen innewohnende Todesfurcht, die unerträgliche Ungewißheit dessen, was danach kommt, durch exotisch verklärte Weisheitssprüche überwinden.
    Wohlweislich werden alle gründlichen Studien verdrängt, die sich mit den realen gesellschaftlichen Zuständen in Tibet befassen. Die chinesische Volksbefreiungsarmee hatte mit ihrer atheistisch-ma terialistischen Ideologie und brutalen Unterdrückungsmethoden zwar der schauerlichen Rückständigkeit ein Ende gesetzt und die Voraussetzungen für technischen Fortschritt und die Anhebung des bislang erbärmlichen Daseins gefördert. Aber sie hat diesem klei nen, in seinen Überlieferungen lebenden Volk auf dem Dach der Welt die national-religiöse Identität, ja die Seele geraubt.
    Seit der Flucht des Dalai Lama, die durch speziell von der CIA ausgebildete Kampa-Krieger abgeschirmt wurde, ist ein halbes Jahrhundert vergangen. Hätte er – unter den ursprünglichen Gesetzen seines Landes – seine Existenz weiterhin als Gott-König im Potala-Palast verbracht, wäre er möglicherweise, wie so manche sei ner dreizehnVorgänger, im Intrigenkampf der Mönchsgemeinschaften zerrieben oder gar vergiftet worden. Aber heute hat die geistliche Desorientierung des Westens es diesem über ein eigenartiges Charisma verfügenden Außenseiter der Weltpolitik erlaubt, Verehrung und Heilserwartungen gerade bei Angehörigen gehobener Gesellschaftsschichten zu wecken, bei der sogenannten Prominenz des Showbiz, der Politik, sogar diverser Wirtschaftsmanager Herolde seiner Botschaft zu finden. Wenn allerdings Reinhold Messner, der in Begleitung seiner tibetischen Sherpas nach Überwindung des Höhenrausches auf den höchsten Gipfeln des Himalaya eine tiefe Affinität zu dem »Herrn der Ringe« empfindet, dann sollte das respektiert werden.
    Ob dem Dalai Lama der Titel »Seine Heiligkeit« zusteht, der selbst einem gläubigen Katholiken bei der Benennung des Papstes nur schwer über die Lippen kommt, mag er selbst entscheiden. Erich Follath, der den Dalai Lama durchaus wohlwollend be schreibt, kommt nach langen Dialogen zu dem Schluß, daß für eine Vielzahl Abtrünniger, die an den Werten unseres westlichen Kul turkreises verzweifeln, dieser eigensinnige Schamane zum »Re präsentanten einer sanften Weltmacht, zur höchsten moralischen Instanz, zuständig für die Grundfragen der Menschheit, wie Le benssinn, Glück, Gerechtigkeit und Frieden« geworden ist. Als postmoderner Engel mit urzeitlichen, in der Wiedergeburt stets reinkarnierten Wurzeln, als letzter gemeinsamer Nenner für Be geisterungsfähige und Skeptiker, Ohnmächtige und Übermächtige, Neurotiker und Naturburschen – eine Art Trostpflaster für die in Globalisierungsgewinner und -verlierer zersplitterte Erde, so sieht Erich Follath, auf dessen Urteil ich stets viel gegeben habe, den Da lai Lama.
    »Wenn so viele Menschen im Westen in seiner Person immensen spirituellen Trost gefunden hätten, so äußert sich der ›Abgrund der Weisheit‹, dann sage das mehr aus

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