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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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seinen Untertanen sogar, gewisse Praktiken westlicher Demokratie zu übernehmen und ein Mehrparteiensystem einzuführen. Vielleicht tat er das, um eventuellen Vorwürfen mangelnder Liberalität zuvorzukommen, die in Washington und vor allem in Neu-Delhi erhoben werden könnten. Das Volk ging höchst widerstrebend zu den Urnen. In freier Wahl verschaffte es spontan der Partei des »Gelben Dra chen«, das heißt der Partei des Königshauses, die Gesamtheit der Abgeordnetensitze.
    Noch ist Bhutan, das den Tourismus aufs Äußerste beschränkt, sich selbst treu geblieben. Das Königshaus hat eine einheitliche Lan destracht angeordnet: Für Männer ist das ein kiltähnlicher Rock und Wollsocken, die bis zum Knie reichen. Sämtliche Neubauten müs sen den Stil ästhetischer Eleganz einhalten, der von den großen Monasterien, den festungsähnlichen »Zhong«, vorgegeben wurde. Die Klöster verharren im altüberlieferten Ritual. Von den fremden Besuchern wird hier kaum Notiz genommen. Während der endlo sen Rezitation der Mantras und Sutren, die die Mönche in den exakt ausgerichteten Karrees ihrer weinroten Roben vornehmen, wachen ein paar ältere, grimmige Aufseher darüber, daß zumal bei den No vizen keine Zerstreutheit und kein Gespräch aufkommt. Sonst be kommen sie die mehrschwänzigen Peitschen zu spüren.
    Mitdemselben Strafinstrument verfolgten die Bonzen auch unsere Schritte, als wir den Zhong verließen. Es galt wohl, jene Dä monen und Schlangengeister zu vertreiben, die sich auf unseren Spuren in die langen Alleen goldener Buddha- und Bodhisattva-Statuen eingeschlichen haben könnten. In dieser archaisch esote rischen Umgebung fühlte ich mich ein wenig in jene Klosteratmo sphäre versetzt, die Umberto Ecco in seinem Roman Der Name der Rose beschrieben hat.
    Prüde und sonderlich schamvoll geht es bei diesem entkrampften Gebirgsvolk übrigens nicht zu. Die Wohnhäuser sind häufig mit au ßergewöhnlichen Fabeltieren bemalt, vor allem aber auch mit rea listischen Darstellungen männlicher Genitalien, die mit blauen und rosa Schleifchen verziert sind. Besonders fiel mir an dieser kuriosen Mahayana-Schule der Kult auf, der ihrem Lieblingsheiligen, dem »zweiten Buddha« und höchsten Guru Rinpoche, gewidmet ist. Im achten Jahrhundert hatte er, auf einem Tiger reitend, die Berge von Bhutan erreicht. Mit krausem Bartwuchs wird er wie ein ausgeflipp ter Hippie unserer Tage dargestellt.
    Dieser heilige Lama, auch als Lotus-geborener Padmasambhava verehrt, hat sich durch erotische Extravaganzen und grobe Scherze hervorgetan. So soll er bei einer einzigen Mahlzeit eine ganze Kuh und eine Ziege mit Haut und Haaren verspeist haben. Es folgte ein gewaltiger Rülpser, und Guru Rinpoche erbrach ein kurioses Tier, das nur in dieser Himalayazone anzutreffen ist und als eine Art Wunderwesen gilt. Ich habe die »Rinder-Gemse« mit den Ausma ßen eines Kalbes und zotteligem grauem Fell als besonders häßli che Tiergattung empfunden. Doch dieses Mißgeschöpf, »Takin« genannt, genießt Schutz und ernährt sich von extrem stacheligem Laub, dessen bloße Berührung mit der menschlichen Haut wie ein schmerzhafter Nadelstich wirkt.
    Der kurze Aufenthalt in Bhutan verhalf mir zu einem seltsamen Zaubererlebnis, das meiner eher skeptischen Veranlagung gegenüber jeder Form von Magie überhaupt nicht entsprach. Unser stämmiger Begleiter Udai – in die vorgeschriebene Landeskluft gekleidet – kam mir zu Hilfe, als mein Schädel mit voller Wucht auf diescharfe, kantige Steinverkleidung einer niedrigen Klosterpforte knallte. Eine tiefe Kerbe hatte sich in meine Stirn eingeschnitten. Der Kopf dröhnte vor Schmerz. Da nahm Udai mich beiseite, umkreiste meine Verletzung weihevoll mit seinen Händen, holte tief Atem und blies mir mehrfach ins Gesicht. Mit einem Schlag war die unerträgliche Qual verschwunden und sollte sich auch nicht mehr einstellen. Die Narbe hingegen ist erst nach zwei Wochen allmählich verblaßt.
    Wie lange die Idylle von Bhutan erhalten bleibt, liegt im Rat schluß Buddhas. Schon kommt es zu Spannungen mit den hindui stischen Zuwanderern aus Nepal, die sich am Südrand des Königs reichs angesiedelt haben. Auf ähnliche Weise war eine Migration von Nepalesen dem Königreich Sikkim zum Verhängnis geworden, als die indische Regierung sich ihrer als umstürzlerisches Element bediente. Aus dem östlich gelegenen Assam dringen neuerdings Freischärler in die entlegenen Dschungelgebiete Bhutans ein, um dort Schutz vor

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