Die Angst des wei�en Mannes
wesentlichen Teil der gottähnlichen Autorität und der Weisheit des greisen Königs Bhumibol zu verdanken ist. Doch das alte Siam tau melt seit Jahrzehnten von einem Militärcoup zum nächsten. Die Korruption in den Ministerien Bangkoks und die fröhliche Las terhaftigkeit, die allenthalben vorherrscht, lassen sich mit dem buddhistischen Tugendkanon allerdings kaum vereinbaren. Neu erdings verschärft sich zudem der blutige Konflikt mit den malai isch-muslimischen Separatisten in den äußersten Südprovinzen.
Aus unmittelbarer Nähe habe ich in den frühen sechziger Jahren erlebt, wie auf Weisung von Präsident Kennedy der Versuch unter nommen wurde, die in Südvietnam stark vertretene Mahayana-Schule politisch zu instrumentalisieren und als Gegenkraft gegen die ideologische Ausweitung des Kommunismus aufzubauen. Der Opfertod eifernder Mönche, die sich selbst mit Benzinflaschen in Brand setzten, erregte damals weltweites Aufsehen. Die schöne Madame Nhu, eine Schlüsselfigur der katholischen Diktatur Ngo Dinh Diems, hat das grausige Schauspiel allerdings nur zu der zy nischen Aussage veranlaßt, sie sei nicht verantwortlich dafür, daß diese Narren ihr eigenes »Barbecue« veranstalteten. Lange dauerte es nicht, da mußte auch die CIA erkennen, daß der Vietcong die Klöster der Jünger Gautamas infiltrierte und für seine Ziele zu nut zen verstand.
Aus fernster mythischer Vergangenheit ist uns die Saga des buddhistischen Herrschers Ashoka aus der Maurya-Dynastie überliefert, der etwa zweihundert Jahre vor Christus fast den ganzen indischen Subkontinent auf die Lehre Siddharthas ausrichtete, den Hinduismus weitgehend verdrängte, ohne jedoch dessen Kasten-Strukturen überwinden zu können. Doch Ashoka war alles andere als ein Held der Sanftmut und der Duldsamkeit. Der Legende zufolge ließ er seine 99 Brüder und Rivalen hinrichten und jeden Widerstandseiner Untertanen im Blut ersticken. Dann allerdings habe seine Läuterung und seine Bekehrung zur wahren Lehre stattgefunden.
Ashoka schickte seine buddhistischen Missionare bis nach Indo nesien und in den afghanischen Hindukusch aus. Auf Java ist als Monument dieser Bekehrungsarbeit die kolossale Tempelkonstruk tion von Borobodur erhalten geblieben, während im afghanischen Bamyan die riesigen, in hellenistischen Faltenwurf gekleideten Fels-Buddhas dem Bildersturm stupider Taleban zum Opfer fielen und gesprengt wurden.
Manche Historiker behaupten übrigens, daß der listige König Ashoka sich der Friedens- und Entsagungslehre Buddhas bedient habe, um besonders räuberische und kriegerische Stämme an den Grenzen seines Reiches in unterwürfige und fromme Untertanen zu verwandeln und zu pazifizieren. Ähnlich sollen ja auch chinesi sche Kaiser der Ming-Dynastie vorgegangen sein, um die Konver sion barbarischer Steppenhorden zur sanften Besinnlichkeit der buddhistischen Sanghas zu betreiben und die ungezähmte Wild heit in resignierte Unterwürfigkeit zu verwandeln. Manche Mon golen, so vernahm ich, beklagen heute noch diese »psychische Kas tration« ihrer stürmisch-aggressiven Veranlagung.
Im Land des glücklichen Drachen
Wer den Buddhismus als Märchen unserer Tage, als verwirklichten Traum von Shangri-La erleben will, der begebe sich nicht nach Dharamsala, dem Amtssitz des Dalai Lama auf indischem Boden, wo sich im Umkreis eines recht harmlosen Gott-Königs alle nur denkbaren Geheimdienste tummeln. Statt dessen beeile er sich, das in Sichtweite des Mount Everest gelegene Königreich Bhutan aufzusuchen, dessen Herrscher – mit vier Schwestern verheiratet – den Entschluß faßte, das grob-materialistische Streben des We stensnach »Gross National Product« durch die vergeistigte Mehrung einer »Gross National Happiness« zu überwinden.
Im Sommer 2005 habe ich mich an Ort und Stelle überzeugen können, daß es sich dabei um keine Scharlatanerie handelte, son dern daß Jigme Singye Wangchuk, Urenkel des Gründers der dor tigen Drachen-Dynastie, bei seinen rund sechs Millionen Unter tanen einen Zustand allgemeiner Zufriedenheit und frommen Wohlbehagens schuf. Das bescheidene Dasein und die begrenzten Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung werden von der Bevölke rung keineswegs als Entbehrung oder Benachteiligung empfunden.
Die asiatischen Nachbarstaaten waren überrascht, als dieser wohlwollende Despot nach relativ kurzer Regentschaft im Jahr 2006 auf seinen Thron verzichtete und seinen Sohn Jigme Khesar Namgyal als Nachfolger einsetzte. Er empfahl
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