Die Angst des wei�en Mannes
ihren indischen Verfolgern zu suchen. Schon geht die Sorge um, die Lockerung der Tourismusbegrenzung sowie die Zulassung der trivialen Fernsehprogramme aus »Bollywood« könne geistige Verwirrung auslösen. Die Zunahme von Selbstmor den gerade bei jungen Leuten wird mit Ratlosigkeit registriert.
Auf keinen Fall darf der Fremde jedoch dem Irrtum verfallen, die Glückseligkeit des Drachenreichs von Bhutan, die sanfte Lebens freude seiner Menschen ließen sich mit den Zuständen vergleichen, die vor dem Einmarsch der chinesischen Volksbefreiungsarmee im Gottesstaat der rotgewandeten Lamas von Tibet vorherrschten. Selbst Guru Rinpoche, der sich in Bhutan als eine Art heiterer, glückspendender Kobold präsentiert, gewinnt am Nordrand des Himalaya ein furchterregendes Antlitz und unterwirft die auf ihn eingeschworene Gefolgschaft des Dalai Lama seinen zornigen Launen, seiner unberechenbaren Willkür.
DieBotschaft des Goldaffe n
»Es ist unglaublich, fast unheimlich, mit welcher Ignoranz die treu herzigen Deutschen den Dalai Lama, diesen gelb-roten ›Gott zum Anfassen‹, der erst im zwanzigsten Jahrhundert dem finstersten Mittelalter entsprungen ist und der sich mit erstaunlichem Ge schick westliche Begriffe von Liberalismus, Humanismus und Psy chologie angeeignet hat, als ›Jesus der Neuzeit‹ anbeten.«
Das Zitat habe ich den Tibet-Experten Victor und Victoria Tri mondi entliehen. Aus persönlichem Antrieb hätte ich nicht gewagt, ein so vernichtendes Urteil zu fällen. Ich will nicht behaupten, daß die anbetende Hinwendung so vieler unserer Landsleute zu einem exotischen Heilskünder aus dem Himalaya einem dauerhaften Rückfall in schamanistisch anmutende Pseudospiritualität ent spricht.
Was die einfältige Bewunderung einer obskuren tantrischen Form des Buddhismus jedoch zum Ausdruck bringt, ist die intellek tuelle und psychische Verwirrung des »weißen Mannes«. Nach sei ner Abkehr von der eigenen theologischen Überlieferung, von der »tradition judéo-chrétienne«, wie die Franzosen sagen, ist es ge radezu Mode geworden, den Trugbildern und Phantasmen anderer Kulturen nachzulaufen. Dabei geht aus seriösen Studien des La maismus hervor, daß Leibeigenschaft, Sklaverei, Erbfolge durchaus übliche Praktiken der damaligen feudalistischen Gesellschaft wa ren. Dazu gehörten auch eine strenge klerikale Hierarchie, düste rer Dämonenglaube, Geheimriten und »sexual-magische Prakti ken«. Die seltenen Filmdokumente in Schwarzweiß, die uns aus der Epoche vormaoistischer tibetischer Unabhängigkeit erhalten sind, veranschaulichen eine Serie von kultischen Ritualen, deren grauen hafter Spuk und die an Epilepsie grenzenden Trancezustände tiefs tes Befremden auslösen sollten.
Die Denaturierung des wahren Heilsweges, den der authentische Buddha predigte und der die Ausübung weltlicher Macht weit von sich weist, wird in der profunden Analyse der Tibetologin Jane Bun nagohne jede Spur von Polemik beschrieben. »Die Schlüsselrolle der Mönche und ihrer ›Sanghas‹«, so schreibt sie, »prädestiniert sie theoretisch zu einer führenden Stellung auf vielerlei Gebieten. Aber die Gläubigkeit ihrer frommen Gefolgschaft verwehrt sich dagegen, daß sich die Mönche ihre Hände mit gesellschaftlichen und nationalen Entwicklungsprogrammen – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne – schmutzig machen. Die Stärke der Mönche liegt darin, zwar in der Gesellschaft zu leben, aber nicht Teil der Gesellschaft zu sein, was den Wert ihres moralischen Einflusses steigert, ihre praktische Nützlichkeit jedoch auf ein Minimum reduziert.«
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Am Abend vor meiner Abreise aus Lhasa habe ich meine beiden Gefährten zu einem Abschiedsessen geladen. Ich hatte bei Fangyi darauf gedrängt, daß mir die zuständige tibetische Religionsbe hörde am Ende doch noch einen in Fragen buddhistischer Religio sität erfahrenen Experten als Informationsquelle zur Verfügung stelle. Meine Bemühungen, von Wang Chuk Einblicke in die loka len Mahayana-Strukturen zu gewinnen, waren an dessen Ignoranz und nicht zuletzt am unzureichenden englischen Vokabular kläg lich gescheitert. So verwechselte er bei meiner Frage nach den vier Schulen des tibetischen Tantrismus die Begriffe »Philosophie« und »Photokopie«. Zweifellos hielt auch er – wie die große Mehrheit seiner Landsleute – an der Idealvorstellung jener theokratischen Herrschaft seines Dalai Lama fest, der lange vor seiner Geburt aus dem Potala-Palast hatte fliehen müssen.
Bei der
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