Die Angst des wei�en Mannes
69. Geburts tag des Staatschefs wird gebührend und untertänig erwähnt.
Hochzeitsfeiern auf sowjetisch
Alma Ata, im Sommer 1980
Fast dreißig Jahre sind vergangen, seit ich Kasachstan meinen ersten Besuch abstattete. Damals war überhaupt nicht die Rede davon, das in der Steppe verlorene Provinznest Zelinograd in die Hauptstadt einer souveränen Republik zu verwandeln. Im Sommer 1980 standdie Sowjetunion mitsamt ihren zentralasiatischen Teilrepubliken noch wie ein »rocher de bronze«. Der Feldzug in Afghanistan hatte erst ein halbes Jahr zuvor begonnen, und die Eroberung dieses zusätzlichen Satelliten, der die Macht des Kreml fast bis zum Indischen Ozean und zum Persischen Golf ausgedehnt hätte, schien durch einen erfolgreichen Blitzfeldzug bereits entschieden.
Für fremde Besucher galten noch die Regeln einer strikten Über wachung durch die Begleiter von »Intourist«. Der mir zugeteilte Dolmetscher Igor war ein vierschrötiger, gehemmter Mann. Erst nach ein paar Tagen gestand er mir, daß seine Mutter Deutsche war und jener unglückseligen Minderheit von ungefähr einer Million Siedlern angehörte, deren Vorfahren sich unter Katharina der Gro ßen überwiegend an der Wolga niedergelassen hatten. Unmittelbar nach dem Überfall Hitlers auf die Sowjetunion waren diese »Volks deutschen« und eine Reihe anderer Minderheiten, die im Verdacht standen, mit der vorrückenden Wehrmacht zu sympathisieren, zu sammengetrieben und in Viehwaggons in die unendliche Weite östlich des Urals, vornehmlich nach Kasachstan verfrachtet worden.
Trotz der Dunstschleier, die der heiße Sommer zog, waren die Schneegipfel des Alatau-Gebirges klar zu erkennen. In etwa zwei hundert Kilometer Entfernung begann bereits die chinesische Pro vinz Xinjiang. Sonderlich exotisch wirkte die flache, weit ausge streckte Siedlung nicht. Ein paar Repräsentationsgebäude waren in pseudo-kasachischem Stil ausgeführt. Die Architekten hatten den Beton in Form von gewaltigen Jurten gegossen. Die Europäer wa ren hier stark in der Mehrzahl. Die kasachische Urbevölkerung ge hört eindeutig der mongolischen Rasse an und ist den Turkvölkern eng verwandt.
Der Volkspark war unser erstes touristisches Ziel. Eine mächtige Holzkirche aus der Zarenzeit, einst der Heiligen Dreifaltigkeit geweiht, war in ein historisches und völkerkundliches Museum umfunktioniert worden. Ausführliche Darstellungen waren der darwinistischen Entwicklungslehre gewidmet, eine diskrete, aber wirksame Form der atheistischen Einwirkung auf die Schülergruppen mit rotem Halstuch, die sich vor den Resten der Steinzeitmenschen drängten.Auch die kasachische Hirtenzivilisation mit den geschnitzten Truhen und den Filzteppichen wirkte bereits museal. Ein Koran war als archaisches Dokument der Unwissenheit und des Obskurantismus ausgestellt. Ansonsten war das muselmanische Bekenntnis der Kasachen mit keinem Hinweis erwähnt. Die Stammesfehden dieser Nomaden wurden krampfhaft in das offizielle Klassenkampf-Schema integriert.
Ein klotziges Denkmal beherrschte den Zentralpark von Alma Ata. Es war dem russischen General Panfilow und seiner 316. Schützendivision gewidmet, die in Kasachstan rekrutiert worden war und sich 1941 bei der Verteidigung Moskaus bis auf zwanzig Überlebende hatte aufreiben lassen. Hinter der Bronzestatue eines Sowjetsoldaten waren die Zinnen des Kreml in rotem Marmor nachgebildet. Im trügerischen Gewand der kommunistischen Völ kerverbrüderung war die russische Überfremdung unerbittlich vor angetrieben worden.
In Moskau hatte mir ein deutscher Kollege, der Kasachstan be reist hatte, von der Verachtung der Russen für die Asiaten erzählt. »Die Asiaten werden als Neger oder ›Schwarzärsche‹ bezeichnet und von den Slawen stets geduzt«, hatte er mir gesagt. »Sechzig Jahre marxistisch-leninistische Erziehung haben zumindest bei den Sowjetmenschen der niederen Schichten den eingefleischten Ras sismus in keiner Weise verdrängt.«
Im Hochzeitspalast von Alma Ata war von einer solchen latenten Diskriminierung nichts zu spüren. Unter der hohen Wölbung die ser steinernen Jurte traten die Brautpaare, Russen und Kasachen, im schwarzen Anzug und weißen Brautkleid – die eingeborenen Mädchen trugen oft rosa – sehr diszipliniert an. Es herrschte große Heiterkeit. Eine Nachahmung des Kreml-Geläuts gab das Signal. Der Brautmarsch von Mendelssohn-Bartholdy wurde über Laut sprecher abgespielt, und eine Standesbeamtin in feierlich langer Robe vollzog die
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