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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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fremder Augenzeugen stattfanden. Selbst in offiziellen Verlautbarungen sprach man bereits von 50 000 Toten. In Tadschikistan, wo die alten Kommunisten, »Kulabi« genannt, einen Ausrottungsfeldzug gegen Demokraten und Islamisten mit russi scherUnterstützung angezettelt hatten, seien Folterungen, Verstümmelungen und Vergewaltigungen an der Tagesordnung.
    Die letzten dort lebenden Deutschen seien unlängst zu Fuß nach Kasachstan geflüchtet, nachdem sie sich wochenlang in Kellern ver steckt hielten, um den mordenden Banden der Marxisten und der islamischen Fundamentalisten zu entgehen. Aus Rußland und Us bekistan seien GUS-Truppen gegen die fanatische islamische Auf standsbewegung »Nahda« eingerückt, und Hunderttausende Mu selmanen seien zu ihren tadschikischen Brüdern nach Afghanistan geflohen. Früher hatte eine halbe Million Europäer in Tadschiki stan gelebt. Als erste seien die Juden, dann die meisten Deutschen abgewandert. Jetzt befänden sich auch die Russen auf der Flucht.
    Wie rasend schnell die Dinge sich doch bewegen! Im September 1991, also ein rundes Jahr zuvor, hatte ich die Unabhängigkeitspro klamation der Republik Tadschikistan an Ort und Stelle erlebt. Da mals hatte die große Stunde der bärtigen Islamisten und der intel lektuellen »Demokraten« geschlagen. Die Staatsgründung auf dem ehemaligen Leninplatz vor der Deputiertenkammer wurde von frommen Koran-Rezitationen begleitet. Der revolutionäre Islam, so schien es an jenem Tag, den ich als Ehrengast auf der Marmor tribüne unter dem riesigen Lenin-Denkmal inmitten eifernder »Nahda«-Prediger erlebte, hatte über den gottlosen Marxismus-Leninismus gesiegt. »Der Kommunist ist ein Feind Allahs«, stand in arabischer Sprache auf den Transparenten. Aber der Triumph des Koran war von kurzer Dauer. Die alte Nomenklatura, gestützt auf die bewährten Machtstrukturen des Sowjetsystems und den unge brochenen Apparat des KGB, die russische Militärintervention und die den Parteiführern ergebenen Stammesfraktionen, hatte die Hinwendung Tadschikistans zur »Islamischen Republik« noch ein mal im Blut erstickt.
DieWarnung Solschenizyn s
    Der Islam tat sich offenbar schwer in Alma Ata. Als ich nach der Freitagsmoschee fragte, wurde ich immer noch auf das beschei dene, grüngestrichene Holzhaus verwiesen, das in arabischer Schrift die Kennzeichnung »Musjid Alma Ata« trug. Seit meinem Aufenthalt im Sommer 1980 hatte sich kaum etwas geändert. Da mals war allerdings mein Besuch bei dem jungen Imam, der mit Genehmigung und Förderung des Regimes in Damaskus studiert hatte, von zwei Beamten des KGB überwacht worden. Die beiden Männer des Sicherheitsdienstes hatten ihr Auto so auffällig ge parkt, daß ich es gar nicht übersehen konnte.
    Im Innern des Gebetsraums stieß ich dieses Mal auf ein halbes Dutzend bärtiger junger Männer, die die rot-weiß oder schwarz weiß gescheckte »Keffiyeh« trugen. Sie gaben sich als palästinensi sche Studenten zu erkennen. Als Gäste in einem fremden Land wa ren sie zu politischer Zurückhaltung verpflichtet. Der Sprecher der Gruppe zeigte mir ein neu verlegtes Buch in kasachischer Sprache: »Allahs neue Botschaft an die Welt«. Ich solle mich durch den Ti tel nicht irreführen lassen. Dies sei eine antifundamentalistische Broschüre.
    Mir war zu Ohren gekommen, daß die islamistisch gefärbte Op position gegen Präsident Nasarbajew sich in zwei Fraktionen zu or ganisieren suchte. Die eine hieß »Asad«, das bedeutet Freiheit. Die andere hatte den alten kasachischen Schlachtruf »Alash« neu belebt. Beide waren verboten. Die in Moskau gedruckte Zeitschrift El Haq – »Die Wahrheit« – die Prawda der Muslime in der GUS, wie man scherzhaft sagte – wurde in Alma Ata regelmäßig beschlagnahmt.
    Die Republik Kasachstan verfügte zu jener Zeit über ein bemerkenswertes »Institut für strategische Studien«. Zu meiner Überraschung stieß ich in dem schmucklosen Sitzungssaal auf ausschließlich kasachische Gesprächspartner. An der Wand hing ein Porträt Nursultan Nasarbajews. Ich war von dem intellektuellen Niveau der Runde beeindruckt. Der offizielle Chef der Studiengruppe war eingewisser Dr. Kasenow, der die Gesprächsführung einem hochgewachsenen, etwa fünfzigjährigen Akademiker, Professor Sultanow, überließ. Sultanow drückte sich in perfektem Deutsch aus.
    Wir haben uns ungefähr drei Stunden lang mit großer Unbe fangenheit unterhalten. Kasachstan sei sich seiner wichtigen geo politischen Position

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