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Die Angst des wei�en Mannes

Titel: Die Angst des wei�en Mannes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Scholl-Latour
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Gelassenheit und Kraft aus. Die angeborene Undurchdringlichkeit mußte ihm bei schwierigen Verhandlungen zugute kommen. Im Westen hätte man ihn als »Pokerface« be zeichnet.
    Die staatsmännische Allüre des ehemaligen Ingenieurs wirkte be eindruckend, und trotz jahrelanger kommunistischer Kaderschu lung war die Ursubstanz des kasachischen Clan- und Hordenchefs intakt geblieben. An manchen seiner slawischen Counterparts ge messen, wirkte das Staatsoberhaupt von Kasachstan stolz und bei nahe aristokratisch. Die Kontrollen am Eingang waren relativ ober flächlich gewesen. Neben kasachischen Sicherheitsbeamten in Zivil fielen mir in den verschiedenen Büros auch russische Mitarbeiter auf. In der Armee waren die Offiziere der ehemaligen Sowjetunion slawischen Ursprungs ohnehin stark vertreten. Dazu kam eine Reihe von Spezialisten, die in Israel angeworben worden waren.
    Nasarbajew suchte nicht nach Ausflüchten, als ich ihn auf seine Spagatstellung ansprach zwischen der in nationale Gärung geratenen kasachischen Urbevölkerung auf der einen, der massiven russischen Kolonistenpräsenz auf der anderen Seite. Kasachstan, das nicht bereit war, auf einen Zipfel seines immensen Territoriums zu verzichten, gab sich gegenüber Moskau überaus konziliant. Der Staatschef ließ jedoch keinen Zweifel aufkommen, daß er Herr im eigenen Haus sein wolle. Das damals noch zersplitterte Parteien systemwurde nur in dem Umfang geduldet, wie es seiner aufgeklärten Despotie keinen Abbruch tat.
    Natürlich bekannte er sich zum Islam. »Wir sind fromme Mus lime«, betonte der Altkommunist, »aber wir lassen keine religiö sen Parteien bei uns zu, weder islamische noch christliche. Wir sind auch Mitglieder der großen türkischen Völkerfamilie, doch einer panturanischen Bewegung, die aus Ankara gesteuert würde, wollen wir uns nicht anschließen.« Kasachstan sei nach allen Seiten für wirtschaftliche Zusammenarbeit offen. Amerikaner, Europäer und Ostasiaten seien bei der Schaffung neuer Industrieunternehmen, der Gründung von Joint Ventures, bei der Hebung der Boden schätze hochwillkommen.
    »Aber unser Land wird sich nicht in eine bestimmte Richtung drängen lassen«, erklärte er. »So lehnen wir jeden Versuch Wa shingtons ab, uns in eine Front gegen die Islamische Republik Iran einreihen zu lassen. Persien ist für uns ein unentbehrliches geogra phisches Bindeglied.« Was nun die besonderen Beziehungen zu Moskau beträfe, so seien Rußland und Kasachstan nun einmal dazu verurteilt, auf absehbare Zeit wie siamesische Zwillinge miteinan der zu leben, so beendete Nasarbajew das Gespräch.
    Zwei Tage später habe ich den Präsidenten am Nationalfeiertag wiedergesehen. Dieses Mal unnahbar und fremd. Kordons von Mi lizionären und Hilfspolizisten, die an roten Armbinden zu erken nen waren, schirmten den Zugang zu der Marmortribüne ab, auf der die Repräsentanten der jungen Republik sich in Reih und Glied in streng hierarchischer Ordnung aufgestellt hatten. Die Szene war eine getreue Kopie des Zeremoniells am Roten Platz von Moskau.
    Dichte Nebelschwaden hatten sich auf Almaty gesenkt. Die Konturen des Regierungspalastes waren kaum zu erkennen. Die Kälte zog in die Glieder. Deshalb kam auch keine Volksfest-Atmosphäre auf trotz der knallbunten Warmluftballons, die am Rande des Paradeplatzes vertäut waren. Ringsum waren Filzjurten im alten Nomadenstil errichtet. Sie dienten als Verkaufsstände für Schaschlik und Stutenmilch. Daneben brannten Lagerfeuer. Eine Militärkapelle spielte russische und exotisch klingende türkische Märsche. Zwi schendurchstimmten Chöre – in farbenprächtige Nomadentracht gekleidet – Lieder der verschiedenen Ethnien dieser Republik an. Das abgewetzte Wort »Druschba« – Freundschaft – war auf die Transparente gepinselt.
    Hirten der umliegenden Kolchosen waren mit Bussen herange karrt worden. Mit ihren mongolischen Gesichtern, die verwegen, ja geradezu furchterregend wirkten, wiesen sich die Männer als au thentische Nachkommen jener Mongolenkrieger aus, die einst bei Liegnitz die Ritterarmee des Heiligen Römischen Reiches besiegt hatten. Aus den Ansprachen, die von der Höhe der Ehrentribüne durch den eisigen Dunst hallten, klang seltsamerweise nicht die lei seste Anspielung auf die Entstehung und die Bedeutung dieses Na tionalfeiertages an, ein immerhin historisches Ereignis, das bereits von den Chronisten als symbolischer Wendepunkt der sowjetischen Nationalitätenpolitik und ihres unaufhaltsamen

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