Die Angst des wei�en Mannes
Eingeborenen in den Strohhüttendörfern oder den städtischen Slums der »Muce ques« verharrten in Armut und Ignoranz. Ein halbes Jahrtausend nach Vasco da Gama und Albuquerque, so befahl der störrische Professor aus Coimbra, sei Lusitanien keineswegs kolonialmüde. Selbst die Gegner Salazars standen in diesem Punkt beinahe ge schlossen hinter dessen Afrikapolitik.
Einen ersten flüchtigen Eindruck sollte ich im Sommer 1952 von diesem bizarren Schwebezustand gewinnen. Von Tonking kom mend, wo die Franzosen mit knapper Not die frischaufgestellten Sturmtruppen Ho Tschi Minhs in der Schlacht von Vinh Yen zu rückgeschlagen hatten, suchte ich die portugiesische Hafenstadt Macao an der Südküste Chinas auf. Seit 1557 hatten sich die Lusi tanier in dieser winzigen Enklave von fünfzehn Quadratkilometern festgesetzt. Als Drehscheibe für den Handel mit dem Reich der Mitte und mit Japan besaß die schläfrige Siedlung historische Be deutung. Lange Zeit war auch die Verwaltung von Portugiesisch-Timor dem dortigen Gouverneur unterstellt.
Fünfhundert Jahre nach der kolonialen Besitznahme mutete es sehr merkwürdig an, daß Macao trotz der Machtergreifung Mao Zedongs zunächst von Rückgabeforderungen der Volksrepublik verschont blieb. Inzwischen hatte die nahe britische Kronkolonie HongkongMacao längst den Rang als kommerzielles Zentrum und blühende Metropole abgelaufen und es zu Bedeutungslosigkeit verurteilt. Ein einziges zweifelhaftes Gewerbe florierte dort noch. Das Glücksspiel wurde in jeder erdenklichen Form und ohne jede Hemmung praktiziert und zog die Zocker aus aller Welt an. Macao, enfer du jeu, lautete der Titel eines französischen Romans, obwohl – für den Kenner des Fernen Ostens – Cholon, die rein chinesische Schwesterstadt Saigons in Indochina, ein weit verruchterer Sammelpunkt für Roulette, Mahjong, Poker und jede andere Form von Laster war.
Fasziniert verharrte ich 1952 vor dem altertümlichen Festungs tor, unter dessen Wölbungen sich Handel und Wandel mit dem Roten Reich der Mitte vollzog. Auf portugiesischer Seite standen riesige pechschwarze Afrikaner aus Angola unter dem Befehl euro päischer Offiziere Wache. Daß die Präsenz Portugals hier nur noch geduldet und durch chinesische Einflußnahme weitgehend ausge höhlt war, gestanden die resignierten Kolonialbeamten in ihren sti ckigen Büros ohne Umschweife ein. Wenige Jahre später sollten Horden junger Rotgardisten der »Großen proletarischen Kultur revolution« vorübergehend in Macao eindringen. Aber Peking hielt sich zumindest formal an die internationalen Abkommen, ver leibte Macao erst im Jahr 1999 der Volksrepublik ein und gewährte dem winzigen Areal einen Sonderstatus.
Diese Scheinautonomie hat es Macao erlaubt, die schmuddeligen Glücksspielhöhlen von einst in luxuriöse Tempel dieses geldver nichtenden Gewerbes auszubauen. Vor allem sind es die neuen chi nesischen Business-Tycoone und Millionäre, die hier astronomi sche Summen einsetzen und einer altangestammten Leidenschaft der Han-Rasse frönen. Wirklichen Nutzen zieht das kommunisti sche Regime aus der finanziellen Sonderrolle, die Macao weiterhin einnimmt. Über diesen Umschlagplatz werden finanzielle Transak tionen und heimliche Technologietransfers abgewickelt, die strengster Diskretion bedürfen. Noch im Jahr 2006 kam ein Schul denausgleich zwischen den USA und dem »Schurkenstaat« Nord korea auf dem Umweg über die Banken von Macao zustande.
»Angolaé nossa«
Dili, im März 2008
»The wind of change«, wie der britische Premierminister Macmil lan sagte, hat am Ende auch die Übersee-Provinzen Portugals hin weggefegt. Bis zum April 1974, also zwanzig Jahre länger als die Gallier in Indochina, haben die Lusitanier – erstarrt in der Routine des »Estado Novo« – stur und verbissen durchgehalten. Im west afrikanischen Angola war der Aufstand der Schwarzen vom Stamm der Bakongo schon im Jahr 1961 ausgebrochen, hatte sich an den blutigen Wirren in der benachbarten riesigen Republik von Leo poldville, heute Kinshasa, entzündet. Die Belgier hatten im Kongo überstürzt das Handtuch geworfen. Im Südosten des schwarzen Erdteils formierten sich in Mosambik die ersten Widerstandsgrup pen der marxistisch orientierten Befreiungsfront Frelimo.
In meiner damaligen Eigenschaft als Rundfunk-Korrespondent der ARD für ganz Afrika war mir die Situation in diesen beiden weit gedehnten Regionen vertraut. Es war zu jener Zeit nicht einfach, ein Visum für Angola zu erhalten.
Weitere Kostenlose Bücher