Die Angst des wei�en Mannes
Mestize ist die Treppe heruntergekommen. Er nimmt in der äußersten Eckeder Lounge Platz und läßt sich ein Bier servieren. »Das ist der Parlamentspräsident, der in Abwesenheit des schwerverwundeten Staatschefs Ramos-Horta das höchste Amt der Republik verwaltet«, flüstert mir ein Nachbar zu. Die Wichtigkeit dieses autoritätsbewußten Mannes wird durch die Präsenz von zehn schwerbewaffneten Leibwächtern betont, die nur zur Hälfte uniformiert sind. Über Dili hat sich die Nacht gesenkt, und die australischen Paratroopers nehmen ihre Dschungelpatrouillen vor.
Die Japaner im Dschungelkrieg
Wie erklärt es sich, daß Lissabon mehr als eine Generation nach dem kolonialen Generalverzicht dem entlegensten Fetzen seines ehemaligen Imperiums heute plötzlich eine solche Aufmerksam keit zuwendet und in Timor-Leste – auch mit militärischem Aus bildungspersonal – Präsenz demonstriert? Fast ein halbes Jahrtau send lang war Ost-Timor von den Lusitaniern sehr stiefmütterlich behandelt worden. Ähnlich wie ihre holländischen Erbfeinde wa ren die Portugiesen in Insulinde auf eine geringe Zahl von Seeleu ten, Abenteurern und Klerikern angewiesen. Sie versuchten ihren Einfluß, der sich auf ein paar Küstenflecken beschränkte, durch Bündnisse mit den eingeborenen Häuptlingen zu konsolidieren, die man in den Chroniken des sechzehnten Jahrhunderts großspu rig als »reyes«, als Könige, bezeichnete. Erst in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts raffte sich ein Gouverneur namens Fernandes auf, ins Innere von Timor vorzurücken, um sich Auto rität bei den in finsterer Rückständigkeit lebenden Stämmen und ihren argwöhnischen Anführern, den »Liurai«, zu verschaffen.
Dabei stützte er sich – in Ermangelung nennenswerter militärischer Verbände aus dem Mutterland – auf eine abenteuerliche Söldnertruppe, die »Topases«. Es handelte sich dabei um portugiesisch sprechende katholische Mestizen, die anfangs auf der benachbarten InselFlores rekrutiert, im Laufe der Zeit jedoch durch ein buntes Völkergemisch aus den ehemaligen portugiesischen Besitzungen in Indien verstärkt wurde. Dazu gesellten sich befreite Sklaven aus den Plantagen Ceylons, von den Molukken und sogar aus dem fernen afrikanischen Mosambik. Die Topases wurden von den Niederländern »schwarze Portugiesen« genannt.
Diese mit Musketen bewaffneten Horden erwiesen sich den einheimischen timoresischen Kopfjägern weit überlegen, verjagten oder töteten deren Häuptlinge, unterwarfen die wichtigsten Stämme der Tetum und der Dawan. Ihre Capitãos, die den »Canga ceiros« oder »Bandeirantes« Brasiliens wohl recht ähnlich waren, hielten auf Timor zwar die von Westen vordringenden Holländer der »Oost indische Compagnie« in Schach, richteten ihre Waffen jedoch gele gentlich auf die eigenen portugiesischen Offiziere und Beamten und revoltierten offen gegen den in Goa residierenden Vizekönig.
Warum erwähnen wir überhaupt diese buntgescheckte, verwil derte Rotte der Topases? Ihre Verwendung an den Antipoden des Mutterlandes, dessen geringe Bevölkerung den weltumspannenden Kolonialprojekten nicht gewachsen war, signalisierte bereits den unaufhaltsamen Verfall. Hier bestätigt sich eine historische Kon tinuität. Schon das späte römische Imperium – »le bas empire«, wie die Franzosen sagen – hatte in der langen Folge seines Niedergangs die unzureichend bemannten Legionen durch Anwerbung von »Barbaren« ergänzen müssen, wobei den germanischen Stämmen jenseits des Limes, aber auch den Numidiern, Dalmaten oder Nu biern eine besondere Rolle zufiel.
Das britische Empire hatte es seinerseits meisterhaft verstanden, die unterschiedlichsten Rassen in den »Mint«, in den Prägestock seines militärischen Drills, zu pressen und dieser Kolonialtruppe sogar das Gefühl zu vermitteln, einer kriegerischen Elite anzu gehören. In der »Grande Armée« Napoleons, die auf Moskau zu marschierte, wurde angeblich mehr Deutsch als Französisch ge sprochen. In den mörderischen Vernichtungsschlachten des Ersten Weltkriegs griffen die Franzosen massiv auf Senegalesen und Al gerier zurück.
Kurzum,die Verwendung von »Hiwis«, wie es im letzten deut schen Rußlandfeldzug hieß, ist so alt wie die Kriegsgeschichte, symbolisiert jedoch – wie im Falle der Topases – die Perspektive unvermeidlichen Verlustes.
Dem Barden Luís de Camões blieb es erspart, die Schmach des von ihm so blühend gefeierten Vaterlandes mitzuerleben. Nach der
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