Die Angst des wei�en Mannes
roten Nelke der Freiheit in der Hand und steckte die Blume in die Mündung eines Gewehrlaufs.
Ganz Portugal bewegte sich in einem romantischen Taumel.
Aufstand der Seminariste n
Auf Ost-Timor hatte während der qualvollen Jahre der afrikanischen Rebellion gegen die portugiesische Herrschaft relative Ruhe geherrscht. Es war nicht die Ruhe des Friedhofs, sondern ein Zustand der Lethargie und der Resignation. Es bestanden gewiß na tionalistischeFermente der Auflehnung, aber die beschränkten sich im wesentlichen auf die Mestizen und die geringe Anzahl von lokalen »Assimilados«, die Zugang zum europäischen Bildungssystem besaßen. Was nun die Unterdrückung der Meinungsfreiheit betraf, so argumentierten die weißen Oppositionellen: »Wenn selbst uns gebürtigen Portugiesen jede politische Libertät durch Salazar und seinen Nachlaßverwalter Caetano versagt bleibt, warum sollen dann die Eingeborenen unserer Kolonien besser gestellt sein?«
Es brodelte allenfalls bei jenen jungen Timoresen, deren geho bene Ausbildung auf den Besuch von Priesterseminaren und Klos terschulen beschränkt blieb. Unter diesen angehenden Klerikern fanden die lateinamerikanischen Thesen der Befreiungstheologie starken Anklang. Die Vereinbarkeit von Christentum und Sozialis mus wurde lebhaft befürwortet. In aller Heimlichkeit bildete sich eine Untergrundorganisation, die unter dem Sammelnamen »FRE TILIN – Frente revolucionária de Timor-Leste independente« – wachsenden Zulauf gewann. Ein gewaltsamer Partisanenkampf wurde aus zwingenden Gründen nicht eingeleitet.
Während Timor-Leste nämlich weiterhin in seiner lusitanischen Rückständigkeit dahindämmerte, hatten sich im Umkreis dieser winzigen Inselhälfte gewaltige Veränderungen vollzogen. Die Re publik Indonesien war zu einem beachtlichen Machtfaktor der Drit ten Welt aufgestiegen. Innerhalb dieses weiten Archipels – zumal auf Java – verfügte der Islam über eine erdrückende Vorrangstel lung. Auf den Molukken wurde der Widerstand der dort lebenden Christen durch die Soldaten Jakartas mit harter Hand niederge schlagen.
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Der spätkoloniale Status auf Timor-Leste endete abrupt. Die Situation veränderte sich radikal, als im April 1974 die Nelkenrevolution der portugiesischen Offiziere alle kolonialen Ansprüche vom Tisch fegte und die Überseeprovinzen, die auf diese Freiheitsgewährung gar nicht vorbereitet waren, in eine chaotische Unabhängigkeit entließ. In Dili, ähnlich wie im afrikanischen Luanda, brach einmörderischer Bürgerkrieg aus. Zwei Parteien standen sich gegenüber: Die bereits erwähnte Befreiungsfront FRETILIN, die links und sozialistisch ausgerichtet war, und eine »Demokratische Union«, die sich überwiegend auf schwer durchschaubare Stammesstrukturen stützte.
Die besser organisierte FRETILIN unter Führung von Mestizen und einer Anzahl katholischer Kleriker gewann sehr bald die Ober hand und proklamierte am 28. November 1975 die Unabhängigkeit von Timor-Leste. Doch die »Independentistas« hatten die Rech nung ohne den bedrohlichen indonesischen Nachbarn gemacht. General Suharto war nicht gewillt, sich diese leichte Beute entge hen zu lassen. Schon neun Tage nach der Ausrufung der jungen Re publik sprangen indonesische Fallschirmjäger über Dili ab. Ihnen sollten Soldaten einer in Bereitschaft stehenden Invasionsarmee folgen. Die Behörden Indonesiens annektierten Timor-Leste als ihre 27. Provinz.
Womit niemand gerechnet hatte: Die neuen Besatzer stießen auf heftigen Widerstand, obwohl sie schon am ersten Tag ihrer Lan dung zweitausend vermeintliche Widerstandskämpfer zur Strecke brachten. Die Ost-Timoresen sollten sich in den kommenden Jah ren als zähe, gefürchtete Guerilleros bewähren, deren Überfälle und Gegenangriffe erst nach der Eroberung ihrer Hochburg im Matebian-Massiv, das die Höhe von 2300 Meter erklimmt, redu ziert, aber niemals ganz beendet wurden. Dieser Partisanenkampf, der den modernen Begriff »asymmetric war« vorwegnahm, war um so bemerkenswerter, als die Kampfgruppe »Falantil« – so nannte sich die paramilitärische Organisation der FRETILIN – nicht die geringste Unterstützung von außen erhielt und über ein kümmer liches Waffenarsenal verfügte.
Die Repression der indonesischen Okkupanten war unerbittlich. Etwa 100 000 Menschen kamen bei den Gefechten und mehr noch bei den anschließenden Strafaktionen um. Viele starben an Hunger, nachdem die Rebellion durch massive Umsiedlung der Bevölkerung unter
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