Die Angst des wei�en Mannes
Indochinas und Indonesiens an.
Vom Deck des französischen Truppentransporters, der Ende 1945 Kurs auf Saigon nahm, sichteten wir im Roten Meer auch eilig angeheuerte Frachtschiffe voller holländischer Soldaten, die unter der Flagge des Hauses Oranien den javanischen Hafen Batavia ansteuerten. Ähnlich wie im Süden Vietnams ein relativ kleines bri tisches Kontingent unter General Gracey die dort stationierten Japaner entwaffnete, nahmen australische Truppen auf Timor die Kapitulation der dortigen Krieger des Tenno entgegen.
Das französische »Corps expéditionnaire d’Extrême-Orient« tauchte kurz darauf mit seinem ersten Fallschirmkommando, das ursprünglich – falls der Krieg gegen Tokio angedauert hätte – über Singapur hätte abspringen sollen, an der Mekong-Mündung auf. Wenig später stießen auch die niederländischen Vorhuten im Um kreis von Batavia, das heute Jakarta heißt, auf den hartnäckigen Wi derstand der Unabhängigkeitsbewegung Indonesiens. Diese falsch konzipierten Unternehmungen waren von Anfang an zum Schei tern verurteilt. Doch der französische Anspruch auf Vietnam, Laos und Kambodscha erlosch erst im Jahre 1954 nach dem Desaster von Dien Bien Phu.
Die Regierung von Den Haag mußte schon im Jahr 1949 einsehen, daß die neuen dynamischen Kräfte der asiatischen Revolution durch die Epigonen europäischer Machtvorstellungen nicht mehr einzudämmen waren. Die Rolle, die Ho Tschi Minh in Tonking spielte,wurde auf Java – unter ganz anderen ideologischen Vorzeichen – von dem Nationalisten Ahmed Sukarno eingenommen, dem die Japaner zur Zeit ihrer Okkupation eine begrenzte Souveränität zugestanden hatten.
Portugiesisch Ost-Timor wurde nach kurzer australischer Trup penpräsenz schlicht und einfach an Lissabon zurückgegeben. Die in ganz Südostasien um sich greifenden Aufstände gegen die ermat teten Kolonialmächte fanden auf den kleinen Sunda-Inseln nur ge ringes Echo. Timor-Leste hatte unter dem Pazifikkrieg fürchter lich gelitten, und die einheimische Landbevölkerung war vorrangig damit beschäftigt, durch Brandrodungen, »Ladang« genannt, neue Felder anzulegen und dank der kargen Maisernten zu überleben.
Das autoritäre Regime Lissabons, das im Jahr 1926 durch einen Staatsstreich die Macht am Tejo übernommen hatte, die Diktatur des Universitätsprofessors Oliveira de Salazar, hatte sich zwar in klu ger Voraussicht aus dem Zweiten Weltkrieg herausgehalten. Das eigene Land wurde jedoch mit eisernem Griff regiert. Das oberste Streben des klerikalen, schweigsamen Staatschefs war darauf gerich tet, die Finanzen in Ordnung und die Opposition in Schach zu hal ten. Portugal hatte von seiner großen Vergangenheit, von der glor reichen Vision Heinrich des Seefahrers längst Abschied genommen.
Ein müdes, von der allgegenwärtigen Geheimpolizei Pide gekne beltes Volk lebte ärmlich in den Tag hinein. Der Bildungsstand war erbärmlich und der hohe Prozentsatz der Analphabeten skanda lös. Lusitanien, so hieß es bei den heimlich agierenden Oppositio nellen, wurde nach der Methode der drei F niedergehalten. Im »Estado Novo«, wie das Regime sich nannte, wurde das Volk mit dem traurig-schönen Gesang des Fado eingelullt, durch die Fuß balleidenschaft von der Politik abgelenkt, durch die pausenlose Verherrlichung der Muttergotteserscheinung von Fatima zu kleri kaler Unterwürfigkeit angehalten.
Was nun das beachtliche Kolonialreich betraf, das Portugal wider alle Erwartung intakt über den Zweiten Weltkrieg hinweggerettet hatte, so machte sich Salazar offenbar die Devise seiner Erbfeinde vom Hause Oranien zu eigen: »Je maintiendrai«. Im Gegensatz zu denvom Krieg gegen Hitler und den Tenno gebeutelten Engländern, Franzosen und Belgiern, die von quälenden Zweifeln und schlechtem Gewissen geplagt wurden, wenn in den eigenen Parlamenten und Gazetten von der Gleichheit aller Menschen, dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, der Legitimität des farbigen Nationalismus die Rede war, blieb für den »Estado Novo« die Kolonialherrschaft eine Art Gottesgnadentum.
Die überseeischen Besitzungen wurden kurzerhand in »Provin zen« umgetauft. Zugang zu Schul- oder Universitätsbildung war bestenfalls den Mulatten und Mestizen vorbehalten. Die Zahl der schwarzen oder melanesischen »Assimilados«, die über volle Bür gerrechte verfügten, war auf ein Minimum beschränkt. Die Masse der »Indigenes« wurden auf Abstand zur abendländischen Zivili sation und sogar zum Christentum gehalten. Die
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