Die Angst des wei�en Mannes
Kontrolle gebracht werden sollte. Wie diese trägen, apathisch wirkenden Timoresen sich als unermüdliche, tollkühne In surgentenentpuppten, die die Topographie ihrer zerklüfteten Insel meisterhaft zu nutzen verstanden, kam einem Wunder gleich.
Was ist an dem hoffnungslosen und dennoch heroischen Aufstand so bemerkenswert? Was kümmert die fernen Europäer schon dieser triste Epilog einer verfehlten lusitanischen Weltexpansion? Die Tra gödie Ost-Timors, so wissen wir heute, spielte sich vor dem Hinter grund der globalen Konfrontation zwischen Ost und West ab. Der November 1975 war denkbar schlecht geeignet für die Gründung eines neuen Kleinstaates, der sich unweigerlich – wie die portugie sischen Besitzungen Mosambik, Angola und Bissau – in Richtung auf eine marxistisch orientierte Volksdemokratie entwickeln würde.
Die Vereinigten Staaten von Amerika hatten wenige Monate zu vor unter schmählichen Umständen ihre südvietnamesischen Ver bündeten dem unwiderstehlichen Vormarsch der Erben Ho Tschi Minhs preisgegeben und Saigon fluchtartig verlassen. Nun galt es für Washington, einen zusätzlichen Geländegewinn der rivalisie renden roten Großmächte Sowjetunion und China mit allen Mit teln zu verhindern. Die Befürchtung kam auf, in Dili könne eine Art südostasiatisches Kuba entstehen. Der unmittelbare Nachbar Au stralien, der noch in der traumatischen Erinnerung an das Vordrin gen der Japaner auf seine nördliche Hafenstadt Darwin lebte, bangte um seine Sicherheit. In Canberra war man in keiner Weise bereit, der Weltrevolution ein Sprungbrett zu überlassen, das sich weit in das strategische Glacis des Fünften Kontinents vorschob.
Die Dokumente liegen heute vor, die eindeutig beweisen, daß Henry Kissinger, der als Secretary of State des Präsidenten Gerald Ford die Außenpolitik der USA lenkte, das Entstehen eines zusätzlichen Feindstaates in Insulinde nicht tolerieren wollte. Präsident Suharto wurde von Amerika geradezu ermutigt, mit geballter Kraft zu intervenieren und dem revolutionären Spuk von Dili ein Ende zu bereiten. Offiziell wurde zwar das Vorgehen der indonesischen Streitkräfte gegen Timor-Leste in Washington und Canberra »bedauert«, in Wirklichkeit hatte Kissinger grünes Licht erteilt unter der heuchlerischen Voraussetzung, daß die Okkupation »effizient, zügig und ohne Einsatz amerikanischer Waffen« stattfände. Selbst andiese Restriktion hat sich das Pentagon nicht gehalten. Als die Kampftauglichkeit der FRETILIN-Partisanen alle Erwartungen übertraf, wurde die indonesische Aktionsfähigkeit durch Lieferung von Kampfbombern vom Typ »Bronco« zusätzlich verstärkt.
In den zehn Tagen des kurzlebigen Unabhängigkeitsrausches pro filierten sich in den Führungsgremien der Republik Timor-Leste bereits einheimische Persönlichkeiten, die das politische Leben in Dili bis auf den heutigen Tag beeinflussen. Überragend lebt die Fi gur Nicolau Lobatos im Gedächtnis seiner Landsleute fort, der ein paar Tage lang als erster Regierungschef fungiert hatte und den be waffneten Widerstand von Falantil mit erstaunlicher militärischer Begabung koordiniert hatte. Im Dezember 1978 fand er im Kampf gegen die Invasoren den Tod. Dieser Nationalheld war ein Mestiço wie fast alle Angehörigen der jetzigen Führungsriege und gehörte jener kleinen Schicht von Privilegierten an, denen die Portugiesen Zugang zu dem durch den »Estado Novo« begrenzten Bildungs weg gestatteten.
Herausragend, aber nicht unumstritten ist die Figur des heutigen Staatspräsidenten José Ramos-Horta. Schon zur Zeit der portugie sischen Kolonialpräsenz war der Journalist Horta als politischer Aufrührer zu zweijähriger Verbannung nach Mosambik verurteilt worden. Als die Indonesier Dili besetzten, befand er sich gerade auf der Reise nach New York, um vor der UNO den Unabhängigkeits anspruch seiner Heimat zu verfechten. Gegen Ende seines langen Exils und eines unermüdlichen Werbens für die »Independência« wurde er im Jahr 1996 gemeinsam mit dem katholischen Bischof von Dili, Carlos Belo, der aufgrund seiner geistlichen Prärogativen auf der Insel ausharren und sich für die Anliegen seiner Landsleute einsetzen konnte, mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Zu erwähnen wäre vor allem der zur Stunde amtierende Ministerpräsident Xanana Guzmão, Sohn eines portugiesischen Lehrers, ehemaliger Jesuitenzögling, der der Berufung zum Priesteramt entsagte, um drei Jahre lang in der portugiesischen Armee zu dienen.
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