Die Angst des wei�en Mannes
böses Schicksal, Unglück gar,
Was einzig Gottes Vorbestimmung war.«
Ein wenig klingt das, als stießen wir auf die verklausulierte Aussage eines iberischen Nostradamus, als ob Camões an dieser Stelle die »asymmetrische Kriegführung« unserer gegenwärtigen Konflikte andeuten wolle. Die Berufung auf eine göttliche »Vorbestim mung«, die einst der Flotte des Herzogs Albuquerque die Richtung wies, findet sich in den Aufträgen wieder, die heutzutage der Prä sident George W. Bush der US Navy erteilt.
Gegen Ende des »Canto decimo« ist aus dem triumphierenden Entdecker-Epos ein elegischer Abgesang geworden. Wieder ein mal vermengt der Dichter seine christliche Frömmigkeit mit lite rarischen Anleihen bei der heidnischen Antike, wenn er »Lethe«, den Fluß der Unterwelt, erwähnt. Offenbar ist er in Erwartung sei nes Todes von der Nichtigkeit allen Handelns und allen Seins durchdrungen. Ich wäre in unserer feuchtfröhlichen Runde in der Pousada von Airera Branco keineswegs schockiert gewesen, wenn – bei ausreichender Bildung – einer unserer timoresischen Gäste meinen 84. Geburtstag mit der Rezitation der letzten melancholi schen Verse der »Lusiaden« zelebriert hätte:
»Die Jahre fliehen, die Sommerzeit ist bald
zu Ende, will sich schon dem Herbst zuwenden …
Der Kummer führt mich zu des Stroms Gewalt,
zu düsterem Vergessen, ewigem Schweigen.«
Cantosegund o
BAL I
Im Vorfeld des Fünften Kontinents
Terror im Ferienparadies
Bali, im März 2008
Die Zeitschrift Geo hatte unlängst unter anderen Adressaten die Anfrage an mich gerichtet, welcher Punkt der Erde mir am schön sten erschienen sei und eine besondere Empfehlung verdiene. Meine Antwort darauf konnte nur lauten, daß die idyllischsten Plätze, denen man sich auch sentimental verbunden fühlt, nur in der Erinnerung existieren. Wehe dem, so fügte ich hinzu, der an den Ort früheren Entzückens zurückkehrt. Er würde unweigerlich enttäuscht sein. Das liegt nicht nur an der Neigung des Alters, die Vergangenheit zu verklären, sondern an den entstellenden Trans formationen, die die Folge von Industrialisierung, Übervölkerung und Massentourismus sind. Die »Globalisierung« ist wohl nicht zu trennen von Verschandelung und schäbiger Kommerzialisierung.
Die vielgerühmte Insel Bali, auf der ich, aus Timor kommend, gelandet bin, macht da keine Ausnahme. Sinnvollerweise trägt die indonesische Luftlinie, die die Strecke in knapp zwei Stunden be wältigt, den Namen »Garuda«. Gemeint ist das Fabelwesen – halb Vogel, halb Mensch –, das dem uralten Pantheon der hinduistischen Mythologie entliehen ist.
Der Düsenantrieb einer Passagiermaschine kann sich gewiß nicht mit jener »Zeitmaschine« messen, die im futuristischen Roman H. G.Wells’ ihren bizarren Entdecker über Äonen in die Zukunft und in die Vergangenheit katapultiert. Doch auf den Schwingen Garudas ist es dem banalen Reisenden unserer Tage immerhin vergönnt, innerhalb eines eng begrenzten geographischen Rahmens und binnen kürzester Frist aus der hypermodernen Computertechnologie, die sich im Stadtstaat Singapur entfaltet, in die Vorstellungswelt der Schöpfungs- und Vernichtungskulte Vischnus und Shivas einzutauchen, die auf die prähistorischen Eroberungszüge arischer Hirtenvölker zwischen Indus und Ganges verweisen und auf der Sunda-Insel Bali in einem entlegenen Refugium überlebt haben.
Noch verwirrender, geradezu beklemmend, erscheint die mensch liche Metamorphose, sobald sich der Flug nach Süden orientiert und die nordaustralische Beagle Bay ansteuert. In den dortigen Re servaten der Ureinwohner, der Aborigines – deren Benennung vom lateinischen »ab origine«, vom Ursprung her, abgeleitet ist –, hat sich ein Zweig unserer Gattung erhalten, dem es offenbar nicht ge lingt, die Mentalität, die magischen Bräuche, ja die Erscheinungs form des frühen Homo sapiens der Steinzeit abzustreifen.
Ich befolge in diesem März 2008 in Bali den Vorsatz, den ich für die Zeitschrift Geo formulierte, und halte es mit der Weisheit der Brahmanen: Statt mich einer Enttäuschung auszusetzen, verweile ich im weiten Gelände des Luxushotels am Strand von Seminyak. Ich bewohne dort ein Pale, die Imitation einer kleinen hindui stischen Tempelanlage, wie sie auf Bali vielerorts zu finden sind. Die Behausung ist durch eine hohe Mauer abgeschirmt, die vom Tropenregen schwarz und antik getönt wurde, während im Innern bizarre Idole und Götter aus Lavagestein einen von Lotus über
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